Full text: [Teil 2 = Sexta, [Schülerband]] (Teil 2 = Sexta, [Schülerband])

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der sich in der Fülle seines Wesens offenbaren, im Zusammenspiele aller 
seiner Kräfte sich als schöpferische Macht erweisen und in genialer Un¬ 
mittelbarkeit das Gesetz diktieren sollte. Dies verworrene Sehnen und 
Streben wurde zunächst, stark versetzt mit dem im stillen immerfort ge¬ 
pflegten pietistischen Geiste, in den Prophetenstimmen eines Hamann und 
Lavater laut. Ls breitete sich in dem Kopfe Herders zu einem unüberseh¬ 
baren Plan wissenschaftlicher Aufgaben aus. Ls brach sich mit hinreißender 
Beredsamkeit in Goethes Jugenddichtungen Bahn. Ls lag in Jacobis Geist 
in ewigem Hader mit dem Bedürfnis nach dem nicht mehr standhaltenden 
Gesetz des aufklärenden Verstandes. 
Die ersten tumultuarischen Äußerungen dieses Sturm- und Drang- 
geistes waren vorüber, als die Gründer der romantischen Schule sich auf 
der Universität bildeten und also in den Jahren standen, in denen die Ideale 
der Jugend Frucht anzusetzen beginnen. Um bleibendsten hatte sich jener 
Geist in Herders Arbeiten ausgestaltet. Der lebendige Mensch, das viel¬ 
gestaltige Geschöpf der proteusartig schaffenden Natur ist das eine Thema 
dieser Arbeiten. In alles Menschliche, in alle Fähigkeiten der menschlichen 
Seele, in alle Formen und alle Wandlungen der über die Lrde verbreiteten, 
zeitlich und örtlich bedingten Menschenart, in alle Geistesschöpfungen, alle 
Denk-, Lmpfindungs- und Ausdrucksweisen, in Nationen und Zeiten, in Sitte 
und Religion, in Sprache und Dichtung von Völkern und Individuen sich 
beweglich hineinzuempfinden: das war die einzige Gabe Herders. So hu¬ 
manisiert sich seine Kritik und hebt den Vollgehalt dichterischer Werke 
in die empfänglich rege Seele hinüber. So dehnt sich vor seinem Blick 
die Geschichte in neuen weiten, und all ihre Erscheinungen ordnen sich in 
einer nicht bloß flächen- sondern körperhaften Perspektive. Aber während 
Herder so die Schranken der Verständnisses alles Menschlichen ins ungemeine 
erweiterte, entrangen sich die vollen Saute einer in sich selbst unendlich 
reichen Natur dem Dichtermunde Goethes. Neben dem rezeptiven das pro¬ 
duktive Genie dieser genialen Lpoche. In seinem Götz und werther und 
Faust und in einer Fülle seelenvoller Lieder war aller Sturm und Drang, 
der die Zeit bewegte, in unvergleichlicher Kraft zutage gekommen. Lr 
jedoch war da nicht stehen geblieben. Der geborene Liebling der Natur, 
war er zu ihrem vertrauten geworden, hatte er ihr ewiges, stilles Gesetz 
in die stürmisch bewegte Seele aufgenommen. Dem Geheimnis ihrer Bil¬ 
dungen nachsinnend, sich ihrer regen Stille und reinen Weisheit in sittlicher, 
Entsagung lehrender Pflichtübung annähernd, schritt er dazu fort, immer 
naturgleichere, vollendetere, menschlich schönere Werke zu bilden. Aus dem 
stürmischen Drang der Jugend gelangte er zu dem ruhigen Ebenmaß seines 
Mannesalters. Lin anderer Geist als in Götz und werther lebte in Iphigenie 
und Lasso, und dies waren die Werke, welche jener jüngeren Generation 
bereits neben den älteren aufregenderen des Meisters und zugleich neben
	        
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