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ich nicht zugesehen hätte, wie die gute Mutter ihren Sohn erkannte und sein Glück
sah;" und der Hausfreund sagt: „Es ist die schönste Eigenschaft weitaus im mensch¬
lichen Herzen, daß es so gerne zusieht, wenn Freunde oder Angehörige unverhofft
wieder zusammenkommen, und daß es allemal dazu lächeln, oder vor Rührung mit
ihnen weinen muß, nicht ob es will." Hebel.
6. Kindesdank und Undank.
Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, daß Menschen im
Alter von ihren Kindern wieder eben so behandelt werden, wie sie einst ihre alten,
kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder ler-
nen's von den Eltern; sie sehen's und hören's nicht anders und folgen dem Bei¬
spiel. So wird es auf dem natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird
und geschrieben ist, daß der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und
sie nicht verfehle.
Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste Nach¬
ahmung und die zweite große Beherzigung verdient.
Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleißigen und frohen Landmann
an dem Ackergeschäfte an und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach einigen
Fragen erfuhr er, daß der Acker nickt sein Eigenthum sei, sondern daß er als Tag¬
löhner täglich um fünfzehn Kreuzer arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Re¬
gierungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in
der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sei, täglich mit fünfzehn Kreu¬
zern auszureichen und nock so frohen Muthes dabei zu sein, und verwunderte sich
darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock erwiederte ihm: „Es wäre mir übel
gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muß ein Drittheil davon genügen; mit
einem Drittheile zahle ich meine Schulden ab, und den übrigen Drittheil lege ich auf
Kapitalien an." Das war dem guten Fürsten ein neues Räthsel. Aber der fröh¬
liche Landmann fuhr fort und sagte: „Ich theile meinen Verdienst mit meinen al¬
ten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kindern, die es erst
lernen müffen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwie¬
sen haben, und von diesen hoffe ich, daß sie mich einst in meinem müden Alter
auch nicht verlaffen werden." War das nicht artig gesagt, und noch schöner und
edler gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern
Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine sterbenden Eltern
gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kindern durch Liebe und Unter¬
stützung redlich entrichtet.
Aber ein anderer ging mit seinem Vater, welcher durch Alter und Kränklich¬
keit freilich wunderlich geworden war, so übel um, daß dieser wünschte, in ein Ar¬
menspital gebracht zu werden, das im nämlichen Orte war. Dort hoffte er wenig¬
stens bei dürftiger Pflege von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die
letzten Tag seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein will¬
kommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabging, war dem armen
alten Greis sein Wunsck erfüllt. Aber er fand im Spital auch nicht alles, wie er
es wünschte. Wenigstens ließ er seinen Sohn nach einiger Zeit bitten, ihm die