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gemeiner Husar eine solche Auszeichnung fordern oder erwarten? Indessen sammelte
ich an einem Vormittage meinen Muth, ich hatte seine Freistunden ausgekundschaftet
und stand nun im Vorzimmer. Mir schlug das Herz gerade so, als damals, da
ich das erste Mal in den Feind einhauen sollte, vielleicht noch mehr. Er mußte sich
gewiß verwundern, was ein Soldat bei ihm wollte, denn es dauerte lange, ehe
ich eine Antwort erhielt.
Endlich kam denn doch die Erlaubniß, daß ich das Heiligthum betreten
durfte. Ja, ich nenne dies Studierzimmer gewiß mit Recht so, denn mir war es,
wie wenn ich zu den Aposteln oder Patriarchen eingehen sollte. Er saß in einem
dunkeln Oberrocke an seinem Schreibtische, ein kleiner, feiner Mann mit blassem
Gesicht und magerem Körper. Die Perrücke hing seitwärts an der Wand, und ein
Käppchen von violettem Sammt bedeckte das ehrwürdige Haupt. Hinter ihm war
ein großes Fenster in der Mauer, durch welches der kräftige Morgenstral fiel und
die Mienen hell erleuchtete, so daß die Sonne in der Farbe des Bartes spielte
und roth in den durchsichtigen, langen Fingern schien, wenn er sie im Sprechen
aufhob. Ich kam mit meiner Entschuldigung, er möge verzeihen, daß ein junger
Husar, dem seine Gedichte wohlgefielen, ihm beschwerlich sei. — „Mein Sohn,"
sagte der edle Gelehrte, „weßhalb gefallen Dir denn meine Gedichte?" — Ich war
um die Antwort verlegen. — „Liesest Du gern?" — „Zuweilen." — „Zu wel¬
chem Endzweck?" — „Um mich aufzuheitern, mich auch wohl zu unterrichten." —
„Du scheinst mir ein Jüngling von Anlagen," fuhr er fort, „Du bist vielleicht
tapfer, ein tüchtiger Soldat; hast Du es denn in Deinem Stande auch wohl gelernt,
ein Mensch zu sein?" — Ich verstummte dem Redner gegenüber. — „Dazu," so
sprach er weiter, und wie eine Glorie spielte der Schein der Morgensonne um sein
Antlitz, „dazu solltest Du meine und andere gute Bücher in die Hände nehmen, um
nicht wild, grausam, unmenschlich zu werden, nicht Lust am Entsetzlichen zu em¬
pfinden, wozu dein Stand schwache oder rohe Naturen nur zu leicht verleitet. Aber
auch fast niemand hat so oft als der Soldat Gelegenheit, der leidenden Menschheit
als ein Engel des Herrn zu erscheinen, indem er die Unschuld und das hülflose
Alter beschützt, seine Hände vom Raube rein erhält, den schon Gedrückten und Ge¬
plünderten schont und sich seiner Armut erbarmt. Wo die wilden Genossen Brand
und Mord hintragen, da soll der christliche Krieger, im Bewußtsein, daß er für
Vaterland, gerechte Sache und einen großen König ficht, auch im Getümmel, auch
unter wilden Raubgesellen Gott und die Tugend vor Augen haben, damit er das
Vorrecht seines Standes, welcher der edelste sein sollte, nicht mißbraucht, um ihn
unter den Räuber und Mörder herabzuwürdigen. Die Thränen des Dankes, die ein
geretteter Greis Dir weint, diese, mein junger, lieber Sohn, werden Dir noch im
Alter wohlthun, die machen Dein Todesbett sanft, die vergüten wohl manche Ver¬
gehung."
So wie der Alte so auf mich einredete, stürzten mir die hellen Thränen in
großen Tropfen aus den Augen, denn nun empfand ich erst, wie viel Böses, Un¬
erlaubtes und Tadelnswürdiges ich schon als Soldat ausgeübt hatte. Ich schluchzte
und konnte nicht zu mir kommen. Da stand der Edle auf, legte mir seine schöne
Hand auf die Schulter und wollte mich trösten; ich aber faßte diese Hand
und drückte den herzlichsten Kuß darauf, indem ich die Sprache wiederfand und