Full text: Für die untern und mittlern Klassen (Theil 1, [Schülerband])

140 
gemeiner Husar eine solche Auszeichnung fordern oder erwarten? Indessen sammelte 
ich an einem Vormittage meinen Muth, ich hatte seine Freistunden ausgekundschaftet 
und stand nun im Vorzimmer. Mir schlug das Herz gerade so, als damals, da 
ich das erste Mal in den Feind einhauen sollte, vielleicht noch mehr. Er mußte sich 
gewiß verwundern, was ein Soldat bei ihm wollte, denn es dauerte lange, ehe 
ich eine Antwort erhielt. 
Endlich kam denn doch die Erlaubniß, daß ich das Heiligthum betreten 
durfte. Ja, ich nenne dies Studierzimmer gewiß mit Recht so, denn mir war es, 
wie wenn ich zu den Aposteln oder Patriarchen eingehen sollte. Er saß in einem 
dunkeln Oberrocke an seinem Schreibtische, ein kleiner, feiner Mann mit blassem 
Gesicht und magerem Körper. Die Perrücke hing seitwärts an der Wand, und ein 
Käppchen von violettem Sammt bedeckte das ehrwürdige Haupt. Hinter ihm war 
ein großes Fenster in der Mauer, durch welches der kräftige Morgenstral fiel und 
die Mienen hell erleuchtete, so daß die Sonne in der Farbe des Bartes spielte 
und roth in den durchsichtigen, langen Fingern schien, wenn er sie im Sprechen 
aufhob. Ich kam mit meiner Entschuldigung, er möge verzeihen, daß ein junger 
Husar, dem seine Gedichte wohlgefielen, ihm beschwerlich sei. — „Mein Sohn," 
sagte der edle Gelehrte, „weßhalb gefallen Dir denn meine Gedichte?" — Ich war 
um die Antwort verlegen. — „Liesest Du gern?" — „Zuweilen." — „Zu wel¬ 
chem Endzweck?" — „Um mich aufzuheitern, mich auch wohl zu unterrichten." — 
„Du scheinst mir ein Jüngling von Anlagen," fuhr er fort, „Du bist vielleicht 
tapfer, ein tüchtiger Soldat; hast Du es denn in Deinem Stande auch wohl gelernt, 
ein Mensch zu sein?" — Ich verstummte dem Redner gegenüber. — „Dazu," so 
sprach er weiter, und wie eine Glorie spielte der Schein der Morgensonne um sein 
Antlitz, „dazu solltest Du meine und andere gute Bücher in die Hände nehmen, um 
nicht wild, grausam, unmenschlich zu werden, nicht Lust am Entsetzlichen zu em¬ 
pfinden, wozu dein Stand schwache oder rohe Naturen nur zu leicht verleitet. Aber 
auch fast niemand hat so oft als der Soldat Gelegenheit, der leidenden Menschheit 
als ein Engel des Herrn zu erscheinen, indem er die Unschuld und das hülflose 
Alter beschützt, seine Hände vom Raube rein erhält, den schon Gedrückten und Ge¬ 
plünderten schont und sich seiner Armut erbarmt. Wo die wilden Genossen Brand 
und Mord hintragen, da soll der christliche Krieger, im Bewußtsein, daß er für 
Vaterland, gerechte Sache und einen großen König ficht, auch im Getümmel, auch 
unter wilden Raubgesellen Gott und die Tugend vor Augen haben, damit er das 
Vorrecht seines Standes, welcher der edelste sein sollte, nicht mißbraucht, um ihn 
unter den Räuber und Mörder herabzuwürdigen. Die Thränen des Dankes, die ein 
geretteter Greis Dir weint, diese, mein junger, lieber Sohn, werden Dir noch im 
Alter wohlthun, die machen Dein Todesbett sanft, die vergüten wohl manche Ver¬ 
gehung." 
So wie der Alte so auf mich einredete, stürzten mir die hellen Thränen in 
großen Tropfen aus den Augen, denn nun empfand ich erst, wie viel Böses, Un¬ 
erlaubtes und Tadelnswürdiges ich schon als Soldat ausgeübt hatte. Ich schluchzte 
und konnte nicht zu mir kommen. Da stand der Edle auf, legte mir seine schöne 
Hand auf die Schulter und wollte mich trösten; ich aber faßte diese Hand 
und drückte den herzlichsten Kuß darauf, indem ich die Sprache wiederfand und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.