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sie habe nichts, sagte sie, als ihre Kleider. Noch dringender hielt er sie am Mantel
zurück. Nur ein Fetzen hiervon, sagte er, würde dem Arrnen helfen. Und sie,
die der Rührung nicht mehr gebieten kann, erlaubt ihm endlich einen Aermel des
kostbaren Gewands zu nehmen. Als sie darauf an des Königs Tafel erscheint, trägt
sie einen andern Mantel, als am Morgen, und scheinbar erstaunt fragt sie der Kö¬
nig, warum sie die Tracht gewechselt. Verlegen sucht sie nach einer Ausflucht. Da
läßt der König den Mantel holen, um sie zu beschämen, denn er trug den Aermel
bei sich, den sie ihm gegeben hatte. Aber siehe! ein Wunder, als der Mantel ge¬
bracht wurde, fanden sich beide Aermel an ihm, und der König bekannte, die er
habe erproben wollen, habe der Himmel erprobt gefunden.
Für wie liebreich man Editha hielt, zeigt auch eine andere schöne Sage. Eine
Hirschkuh kam einst, so heißt es, in tiefer Nacht zu Magdeburg an ihr Schlafge¬
mach; leise scharrte sie an der Thür und schritt, als ihr geöffnet war, zum Lager
der hohen Frau; winselnd und stöhnend, als wolle sie einen tiefen Schmerz aus¬
drücken und Mitleid erwecken, streckte sie sich zu den Füßen der Herrin nieder und
suchte alsbald wiederum die Weite. Editha befahl einem Jäger, dem Thiere zu fol¬
gen. Er ging der Spur nach und fand jenseits der Elbe die Hirschkuh mit ihrem
Jungen beschäftigt, das sich in einer Schlinge gefangen hatte. Er befreite das Thier,
und schnell eilte die Mutter mit dem Jungen in das tiefe Gebüsch. Froh aber hörte
Editha, wie der armen Mutter geholfen war. In solchen Erzählungen lebte Jahr¬
hunderte lang das Andenken der guten Königin fort und vererbte sich von Kind
auf Kindeskind.
In dem Kloster des heiligen Moritz zu Magdeburg, das Otto nach Edithas
Wunsch auf ihrem Witthum im Jahre 937 begründet hatte, wurde der edle Leib
der Königin bestattet; auf der Nordseite der alten Kirche war ihr Denkmal. Jetzt
sehen wir daffelbe in einer späteren Gestalt in dem prachtvollen Dome, der dort
einige Jahrhunderte nachher als eines der erhabensten Werke deutscher Frömmigkeit
und Kunst erbaut wurde.
Mächtig ergriff Otto der Tod seines geliebten Weibes, er wandte seinen Sinn
mehr als bisher den himmlischen und geistlichen Dingen zu. Das schleunige Ende
der Theuren, der noch ein langes Leben vorbehalten schien, mahnte auch ihn an
den Tod, der ihn mitten aus seiner glänzenden Laufbahn abrufen konnte, und wies
ihn mehr als je auf jene höchste Macht hin, der auch der Gewaltigste auf Erden
sich beugen muß. Er richtete seine Gedanken auf die heiligen Schriften und from¬
men Bücher/ Nach der Sitte der Zeit war er zu den Waffen, nicht für die Bücher
erzogen worden, jetzt erst lernte er die Buchstaben, aber er brächte es bald zu völ¬
liger Sicherheit im Lesen und Versteh'en heiliger Schriften.
Von dieser Zeit an wandte der König auch den kirchlichen Angelegenheiten
seines Reiches besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu. Wahre, tiefe Religiosität war
einer der hervortretendsten Züge in Ottos Wesen; er lebte stets in dem Bewußtsein,
daß er unter dem unmittelbaren Schutze Gottes stehe, und daß die Allmacht mit ihm
und den Seinen sei; aus dem Gebete, durch deffen Kraft er meinte oft wunderbar
aus Gefahren errettet zu sein, schöpfte er immer neuen Muth in seinen Bedrängniffen
und Mühen; von dem Glauben an den göttlichen Ursprung seiner königlichen Gewält
war er ganz und gar durchdrungen. W. Giesebrecht.