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es ist ein großer Gewinn, alles, was man thut, wie vor seinem Katheder unter sei¬
nen Augen zu thun.
Der zweite Spruch des Salomo: Alles hat seine Zeit.
Alles hat freilich seine Zeit; die Zeit der Saat ist nicht die Zeit der Ernte,
die Zeit des Neumondes ist nicht die Zeit des Vollmondes, und wenn einer stirbt,
wird er freilich nicht geboren. Das aber kann Salomo mit seinem Spruche nicht
gemeint haben; das hätte unser eins wohl sagen können. Sollte auch der ganze
Sinn der sein: daß alles nicht zu aller Zeit, sondern zu seiner Zeit soll gethan
werden, wenn nämlich Natur oder Kunst Bahn gemacht und alle Umstände dafür
reif sind, so wäre das schon etwas, aber doch, so allgemein hin, immer noch zu we¬
nig für unsern Freund Salomo. Und wir brauchen nicht vorlieb zu nehmen; denn
die Worte leiden großen Sinn, und das für Kops und Herz.
Zum Exempel. Der Mensch lebt, nachdem er geboren, siebzig Jahr und wird dann
wieder zur Erde, davon er genommen ist. Wir sehen solche bestimmte Perioden in meh-
rern Naturoperationen, die uns bekannt sind, und vielleicht haben's alle die andern auch,
die uns nicht bekannt sind, größere und kleinere, bis aus die gesammte Natur selbst von
dem Im Anfang an, als Gott Himmel und Erde schuf, bis zu der Stunde, in wel¬
cher die Elemente zerschmelzen und Gott die Himmel wieder zusammen wickeln wird wie
ein Gewand. Nun soll einmal ein Mensch oder ein Engel dies alles kennen, soll da¬
von nicht bestimmt sprechen, sondern nur deuten wollen und sagen: Alles hat seine
Zeit; so ist ein Sinn in dem Spruch, und man sieht sich sehr kurz und ehrerbietig
nach dem um, der ihn sagte. Oder: Wir Menschen laufen und rennen von Geburt
an und immerdar und wissen nicht, was zu unserm Frieden dient. Nun soll
einmal ein Mann sein, der das gefunden hat. Wenn nun der die Menschen, seine
Brüder, um sich her ansieht: wie sie's so verkehrt treiben; an dem und jenem Jrr-
sal, woran Tausend und Tausend vor ihnen betrogen und zu Schanden worden sind,
so fest halten und guten Rath nicht hören wollen; wenn nun der gutgesinnte
Mann das ansieht, dem Unwesen gerne steuerte, aber nicht zu steuern vermag, und
sich darüber mit unserm Spruch trösten wollte; so sind die Worte Goldes werth
und wären etwa so zu übersetzen: „Wie sind doch die Menschen so verblendet, die
edlen schönen Geschöpfe Gottes, zu so großer Ehre bestimmt! O wie anders könnten
sie's haben, wenn sie selbst wollten! Doch die Stunde der Verblendung wird vor¬
über gehen, daß ihnen noch geholfen werde; Alles hat seine Zeit."
Indeß, alles zusammen genommen, scheint Salomo hier weder das eine
noch das andere im Sinne gehabt zu haben, sondern ein Drittes, nämlich: In der
körperlichen Natur sei alles nicht wie in der Geisterwelt zugleich und auf ein Mal,
sondern ein jedes habe seine Zeit; und dem Gesetz muß, wer in der körperlichen
Natur ist, sich unterwerfen und sich so gut dabei nehmen, als er kann.' Als wenn
jemand zu Wagen sitzt und nach Königsberg fahren will; so ist er nicht mit
einem Male an Ort und Stelle, sondern die Räder des Wagens müsien so lange um¬
gehen, bis er ist, wo er sein soll, und ein jeder Umgang hat seine Zeit und der
zweite kann nicht zur Wirklichkeit kommen, bis der erste vollendet ist rc., und da geht
es denn oft über Stock und Stein, und der aus dem Wagen wird des wohl
gewahr; er muß indeß aushalten und sich fassen, denn es ist kein anderer
Rath.