Full text: [Teil 3 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quarta, [Schülerband])

6. Mieskater Martinichen. 
23 
hatte Knechte und Mägde, wie sie kaum ein Bettlerkrug willig 
beherbergt hätte, recht, was man Krücken und Ofenstecken nennt; 
ihre sonst so glatten Pferde magerten ab und verreckten an Rotz 
und Wurm; ihre Kühe gaben keine Milch mehr, und ihre Schweine 
hatten Läuse; ihre Schafe und Gänse wurden Drehköpfe, als 
hätten sie geheime Wissenschaft studiert; ihre Hühner und Enten 
legten keine Eier und brüteten nicht mehr; ihr Feld trug Disteln 
und Dornen für Korn und Weizen. Kurz, Trine geriet in zwei 
Jahren in die bitterste Armut: Pferde waren weg, Kühe waren 
weg, Schweine ansgestorben, Schafe geschlachtet, Tauben und 
Hühner vom Marder aufgefressen, der Hund an der Kette ver¬ 
hungert, — kein Hahn krähte mehr ans ihrer Hausthür, kein 
Bettler seufzte mehr sein Gebet davor. Und Trine saß allein 
und verlassen mit gelben, gefurchten und gerunzelten Wangen 
und von Thränen und Jammer triefenden Augen und schnee- * 
weißen Haaren in der frierenden Ecke ihres leeren Zimmers und 
hielt ihren magern, in der Asche verbrannten Kater auf dem 
Schoße und weinte jämmerlich über die kargen Brocken, die man 
ihr von fern zuwarf, denn keiner mochte ihr gern nahe kommen. 
So hat man sie eines Morgens gefunden, tot auf dein 
Boden ihres Stübchens hingestreckt, und ihren treuen Mieskater 
Martinichen tot auf ihr liegend. Die Leute haben mit Granen 
davon erzählt. Und die sonst so reiche Trine, die der Kirche 
und Geistlichkeit immer so gern gab, als sie noch was zu geben 
hatte, ist begraben, wie man Bettler begrübt, ohne Sang und 
Klang, ohne Glocken und Gefolge; kein Nachbar hat sie zum 
Kirchhofe begleiten wollen, kein Verwandter ist ihrer Leiche ge¬ 
folgt; sie hatte ihnen ja nichts nachgelassen. O kalte Welt, wie 
kalt wirst du denen im Alter, die dann nichts haben, womit sie 
sich die Füße zudecken können, und ach! nur die irdischen Mängel, 
die man mit schärferen Augen an den Alten betrachtet! 
Als Trine nun tot war, erzählen die Leute, ist sie immer 
als Hexe umgegangen linb geht bis diesen Tag als Hexe uni 
in der Gestalt einer alten grauen Katze, die man daran kennt, 
daß sie Augen hat, die wie brennende Kohlen leuchten, und daß 
sie ganz entsetzlich laut sprühet und pustet, wenn man sie jagt. 
Sie wird noch alle Mitternächte auf der Stelle gesehen, wo 
ehedem Trinens Haus war, und heult dort erbärmlich; im
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.