150
kann. Nun streckt's sich und freut sich über den warmen Sonnenschein,
die angenehme Luft und übers grüne Maulbeerblatt. Doch nach der
schweren Arbeit fühlt es großen Hunger. Zwei Augen sind am Kopfe,
die zeigen ihm seine Nahrung; 16 Füße besitzt es, 6 vorn, 10 hinten;
mit denen kriecht es zum jungen, zarten Blatt, das eben erst der
Knospe entsprossen ist — das ist sein Frühstück. Nun tut es Tag
und Nacht nichts anderes, als daß es frißt. Doch so viel es immer
auch verzehrt, so fleißig es auch Blatt für Blatt wegspeist, so ist der
Maulbeerbaum doch noch viel fleißiger und treibt an allen Zweigen
immer neue Blätter, so daß es unserm Räupchen nie an Futter fehlt.
Vom vielen Fressen „wird ihm der kleine Bauch so schwer, daß fast
ein Reif drum nötig wär'". Ja, die Haut reicht wirklich nicht mehr
zu. Da sitzt es denn still und wird ganz blaß, sieht aus, als sei es
krank und wolle sterben. Jetzt bewegt es sonderbar den Kopf, und
sieh! — die Haut ist ihm zersprungen. Die Raupe windet sich heraus;
sie streift ihr altes Kleid jetzt ab; es ist zu enge geworden. Ist sie
nun nackt? Bewahre! Es war die neue Haut schon vorher gewachsen
unterhalb der alten. Das neue Kleid ist frischer und muntrer gefärbt;
auch ist's viel weiter als das abgeworfene. Nun beginnt das Speisen
um so eifriger, geht wieder Tag und Nacht ununterbrochen fort, bis
die neue Haut wiederum zu eng ist und nicht mehr ausreicht. Jetzt
wiederholt sich derselbe Vorgang. So macht's die Raupe auch später
zum dritten und vierten Mal. Jedesmal ist das neue Kleid heller
gefärbt und geräumiger als das alte. Aus dem winzigen Räupchen,
das dem Ei entfloh, wird nach 6 bis 7 Wochen eine Raupe, so lang
wie ein kleiner Finger; die hat aus dem Saft der Maulbeerblätter,
welche sie verzehrte, in ihrem Körper viel Vorratsstoff gesammelt,
unter anderm auch eine große Menge Spinnsaft. Aus diesem Spinn¬
saft formt sie einen feinen, hellen Faden, heftet den an einem Zweig¬
lein des Baumes an und wickelt ihn um sich herum. Sie beginnt jetzt
einen wunderlichen Tanz. Nach allen Seiten dreht sie sich im Kreise
und zieht seine Fäden, ganz ähnlich einem Knäuel, den ein Kind aus
Zwirn oder Garn sich wickelt, nur mit dem Unterschiede, daß das Kind
bei seinem Knäuel innen anfängt und nach außen wickelt, die Raupe
aber die äußeren Fäden zuerst spinnt und dann erst die inneren. So
dreht sie sich 5, 6 Tage lang und macht aus dem Faden, ohne einmal
abzureißen, einen länglich-runden Ball von halber Fingerslänge und
weißlich-gelber Farbe. Einen Cocon pflegt man solch Gespinst zu
nennen. Die äußerste Schicht dieses Cocons besteht aus vielen zu¬
sammengewirkten und verknüpften Fäden; aber dicht darunter läßt sich
ein feiner Faden abwickeln, der so lang ist, daß ein Kind fast eine
Viertelstunde laufen muß von einem Ende bis zum andern; 250 Meter
mißt er. Ganz innen läßt die Raupe einen leeren Raum, ein Kämmerchen.