Full text: (Fünftes und sechstes Schuljahr) (Teil 3, [Schülerband])

13. Und im freud'gen Aufruhr eilen hin die Nachbarn ohne Halt, — 
Seht am Fenster lehnet Hogne, doch ihr Leib ist starr und kalt. 
Wohl mit Wehmut da ein jeder dessen, was sie sprach, gedenkt; 
Denn die Lampe ist erloschen und der Bruder ihr geschenkt. 
130. Das Loch im Ärmel. 
Heinrich Zschokke. Novellen u. Dichtungen. 10. Ausg. III. Teil. Aarau, 1876. 8. 373. 
Ich hatte einen Spielgesellen und Jugendfreund, Namens 
Albrecht, erzählte einst Herr Marbel seinem Neffen. Wir beide 
Waren überall und nirgends, wie nun Knaben sind, wild, unbändig. 
Unsere Kleider waren nie neu, sondern schnell besudelt und zer¬ 
rissen. Da gab’s Schläge zu Hause; aber es blieb beim alten. 
Eines Tages saßen wir in einem öffentlichen Garten auf einer 
Bank und erzählten einander, was wir werden wollten. Ich wollte 
Generalleutnant, Albrecht Generalsuperintendent werden. 
„Aus euch beiden giebt’s in Ewigkeit nichts!" sagte ein stein¬ 
alter Mann in feinen Kleidern und weißgepuderter Perücke, der 
hinter unserer Bank stand und die kindlichen Entwürfe an¬ 
gehört hatte. 
Wir erschraken. Albrecht fragte: „Warum nicht?“ 
Der Alte sagte: „Ihr seid guter Leute Kinder, ich sehe es 
euren Röcken an; aber ihr seid zu Bettlern geboren; würdet ihr 
sonst diese Löcher in euern Ärmeln dulden?“ Dabei faßte er jeden 
von uns an den Ellbogen und bohrte mit den Fingern in die 
daselbst durchgerissenen Ärmel hinauf. — Ich schämte mich, 
Albrecht auch. „Wenn’s euch,“ sagte der alte Herr, zu Haus 
niemand zunäht, warum lernt ihr’s nicht selbst? Im Anfang hättet 
ihr den Rock mit zwei Nadelstichen geheilt, jetzt ist’s zu spät, und 
ihr kommt wie Bettelbuben. Wollt ihr Generalleutnant werden, 
so fangt an beim Kleinsten. Erst das Loch im Ärmel geheilt, 
ihr Bettelbuben, dann denkt an etwas anderes.“ 
Wir beide schämten uns von Herzensgrund, gingen schweigend 
davon und hatten das Herz nicht, etwas Böses über den bösen 
Alten zu sagen. Ich aber drehte den Ellbogen des Rockärmels 
so herum, daß das Loch einwärts kam, damit es niemand erblicken 
Mochte. Ich lernte von meiner Mutter nähen, spielend; denn ich 
sagte nicht, warum ich’s lernen wolle. Jetzt, wo sich an meinen 
Kleidern eine Naht öffnete, ein Fleckchen sich durchschabte, ward’s 
sogleich gebessert. Das machte mich aufmerksam; ich mochte an 
zerrissenen Kleidern nun nicht mehr Unreinlichkeit leiden. Ich
	        
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