175 
fehl seinem Gaste die Abfahrt auf einem Schiffe zu ver¬ 
weigern. Dabei ließ er ihn auf allen seinen Schritten durch 
treue Kundschafter beobachten, sodaß es auch kein Schiffer 
wagen konnte ihn gegen den Willen des Königs in sein 
Fahrzeug aufzunehmen. 
So war Dädalus ein Gefangener. Nach mehreren mi߬ 
lungenen Versuchen zur Flucht schien er sich endlich in 
seine Gefangenschaft zu ergeben; sein erfinderischer Geist 
aber sann doch auf ein Mittel, wie er entkommen könne. 
Endlich hatte er einen Einfall, den er sogleich ins Werk 
zu setzen beschloß. „Land und Meer," sprach er, „mag 
Minos mir verschließen; die freie Himmelsluft kann er mir 
nicht versperren! Mag er über alles Herr sein, die Lüfte 
kann er nicht beherrschen; dort muß ich mir den Ausweg 
suchen." 
Von nun an ging er wenig mehr aus, verschloß sich 
mit seinem Sohne Ikarus in seinen Gemächern und Minos, 
der gar keinen Argwohn mehr gegen ihn hatte, ließ ihn 
ganz unbeobachtet. 
Hier setzte der kunstreiche Meister nun aus Federn, 
die er mit Bindfaden und Wachs verband, künstliche Flügel 
zusammen, groß genug für einen Menschen, aber den natür¬ 
lichen Flügeln der Vögel ganz ähnlich. Sein Knabe Ikarus 
stand bei ihm und sah ihm zu ohne zu ahnen, welche Ge¬ 
fahr ihm das Werk seines Vaters bringen sollte. Bald spielte 
er mit den umherfliegenden Federn, bald knetete er ein 
Stückchen Wachs und hinderte so durch sein Spiel oft das 
wundervolle Werk seines Vaters. 
Endlich waren zwei Paar Flügel fertig. Dädalus be¬ 
festigte sich zuerst die seinigen an den Schultern und an 
den Armen und versuchte, ob er sich damit aufschwingen 
könne. Es gelang ihm sehr gut; er erhob sich leicht in die 
Luft. Nun befestigte er auch seinem Knaben Ikarus die 
Flügel und zeigte ihm, wie er sich bewegen müsse. Er 
ermahnte ihn auch, nicht zu niedrig zu fliegen und nicht zu 
Loch aufzustreben. „Wir kommen," sprach er, „über das 
Meer. Fliegst du zu niedrig, so werden deine Flügel von
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.