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fehl seinem Gaste die Abfahrt auf einem Schiffe zu ver¬
weigern. Dabei ließ er ihn auf allen seinen Schritten durch
treue Kundschafter beobachten, sodaß es auch kein Schiffer
wagen konnte ihn gegen den Willen des Königs in sein
Fahrzeug aufzunehmen.
So war Dädalus ein Gefangener. Nach mehreren mi߬
lungenen Versuchen zur Flucht schien er sich endlich in
seine Gefangenschaft zu ergeben; sein erfinderischer Geist
aber sann doch auf ein Mittel, wie er entkommen könne.
Endlich hatte er einen Einfall, den er sogleich ins Werk
zu setzen beschloß. „Land und Meer," sprach er, „mag
Minos mir verschließen; die freie Himmelsluft kann er mir
nicht versperren! Mag er über alles Herr sein, die Lüfte
kann er nicht beherrschen; dort muß ich mir den Ausweg
suchen."
Von nun an ging er wenig mehr aus, verschloß sich
mit seinem Sohne Ikarus in seinen Gemächern und Minos,
der gar keinen Argwohn mehr gegen ihn hatte, ließ ihn
ganz unbeobachtet.
Hier setzte der kunstreiche Meister nun aus Federn,
die er mit Bindfaden und Wachs verband, künstliche Flügel
zusammen, groß genug für einen Menschen, aber den natür¬
lichen Flügeln der Vögel ganz ähnlich. Sein Knabe Ikarus
stand bei ihm und sah ihm zu ohne zu ahnen, welche Ge¬
fahr ihm das Werk seines Vaters bringen sollte. Bald spielte
er mit den umherfliegenden Federn, bald knetete er ein
Stückchen Wachs und hinderte so durch sein Spiel oft das
wundervolle Werk seines Vaters.
Endlich waren zwei Paar Flügel fertig. Dädalus be¬
festigte sich zuerst die seinigen an den Schultern und an
den Armen und versuchte, ob er sich damit aufschwingen
könne. Es gelang ihm sehr gut; er erhob sich leicht in die
Luft. Nun befestigte er auch seinem Knaben Ikarus die
Flügel und zeigte ihm, wie er sich bewegen müsse. Er
ermahnte ihn auch, nicht zu niedrig zu fliegen und nicht zu
Loch aufzustreben. „Wir kommen," sprach er, „über das
Meer. Fliegst du zu niedrig, so werden deine Flügel von