Full text: Klasse 6 (fünftes Schuljahr) (Teil 4, [Schülerband])

in den Büschen, und über einer Felsenklippe ward ein ehrwürdiges 
Greisenhaupt sichtbar, das rief mit milder Stimme: „Knabe, sprich, 
wem zu Ehren hast du dein Liedlein geblasen?" Der Junge be¬ 
sann sich nicht lange, sondern antwortete: „Das hat dem Kaiser 
Friedrich gegolten." — „So komm mit mir, daß er dir auch lohne!" 
sprach die Gestalt, und der Hirt 'folgte ihr nicht ganz ohne Zagen. 
Es ging viele Stufen abwärts bis an eine metallene Tür, die mit 
hellem Krachen aufsprang. Da sah nun der Schäfer eine große, 
mächtige Halle voller Gold, Edelstein, Wehr und Waffen und eine 
Schar stattlich gerüsteter Ritter, die sich alle tief vor seinem Führer 
neigten. Alsbald merkte der Schäfer, daß der alte Rotbart selbst 
sein Führer gewesen war, und erschrak. Doch der Kaiser sprach ihm 
Mut ein und sagte zu seinem Hofgesinde: „Dieser Knabe hat uns ge¬ 
ehrt!" und zeigte ihm allen Glanz und alle Pracht der Halle, kost¬ 
bare Waffen und Truhen von Gold; dann fragte er den Hirten, 
welchen Lohn er begehre. Dieser erwiderte: „Keinen!“ Da brach 
der Kaiser den Fuß von einem Handfaß, reichte diesen dem Jungen 
dar und sprach: „Nimm das und geh; sage auch droben, daß, 
wenn die Zeit sich erfüllet hat, der Herr uns erlösen wird aus diesem 
Banne; dann soll das Deutsche Reich frei und das Heilige Grab 
aus des Türken Hand erlöst werden!“ Der Hirt kam hinauf, 
und der Berg tat sich zu. Der Fuß des Handfasses war von 
lauterm Golde. 
2. Prinzessin Ute. 
Ludwig Bechstein. 
Drei Musikanten gingen einst auf den Kyffhäuser. Als sie 
oben angelangt waren, riefen sie: „Wo ist die Prinzessin Ute?“ 
Da fing sogleich ein Hahn an zu krähen, und neben ihnen stand 
Ute, Kaiser Rotbarts Tochter. Sie begrüßten sie und sagten, daß 
sie dem Kaiser ein Ständchen bringen wollten. Sie spielten drei 
Stücke, erhielten aber nur Eichenzweige, die ihnen die Prinzessin 
an den Hut steckte. Unzufrieden mit diesem Lohne, rissen zwei 
von ihnen die Zweige von den Hüten. Darauf gingen sie zum 
Junker der nahen Rotenburg, in der Hoffnung, für ihr Spiel mit 
Gold bezahlt zu werden. Vor dem Tor der Burg angekommen, 
riefen sie: „Juchhe, juchhei! Mach auf, Pförtner, daß wir dem 
Ritter und seiner Gemahlin eins aufspielen!" Dabei schwenkten
	        
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