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jener Zeit erzählen könnte, wir würden uns gewiß vor den Greuelthaten
entsetzen, die er erlebt hat. Aber er verschweigt sein schauderhaftes
Zeugnis, damit die Wanderer, die ihn jetzt fröhlich ersteigen und von
ihm herab in die herrlichen Thäler schauen, sich nicht mit Grausen von
seinen Felsblöcken abwenden mögen, die einst vom Blute der Menschen¬
opfer rauchten.
Im Jahre 738 kam es hierauf bei Detmold zur Schlacht, in
welcher Karl gezwungen ward, sich bis nach Paderborn zurückzuziehen.
In einem zweiten Treffen an der Hase im Osnabrückischen blieb er zwar
Sieger; dennoch aber stillte sich die Empörung nicht, obgleich in beiden
Schlachten gegen 80000 Sachsen gefallen waren.
Da sah Karl endlich ein, daß er andere Waffen gebrauchen müsse
als das Schwert, und ließ deshalb die beiden furchtbarsten Anführer
der Sachsen, Wittekind und Alboin, zu verschiedenen Malen freundlich
zu sich entbieten.
Wäre dies früher geschehen, dann würden sie ohne Zögern und
mit Vertrauen erschienen sein; aber jetzt verabscheuten sie den grausamen
Zerstörer ihrer Ruhe, und nur stolze, abschlägliche Antworten waren der
Erfolg seiner Sendungen.
Endlich empfand auch Wittekinds unbeugsames Herz gar schmerzlich
die Noth seines Volkes und begann an der Macht seiner Götter zu ver¬
zweifeln, die den Kampf für sie nicht mit Siegen krönen wollten, ob
sie gleich mit Menschenopfern übersättigt worden waren. Eine geheime,
unwiderstehliche Gewalt zog ihn fort, den furchtbaren Karl auch außer
der Schlacht zu sehen, und ob er dessen Einladung gleich öffentlich mit
Verachtung zurückgewiesen, so beschloß er doch nebst seinem Freunde
Alboin, sich, in Bettlerkleidung gehüllt, unerkannt in Karls Nähe zu
begeben. Sie verließen im geheimen das Heer der Sachsen, traten ihre
Wanderung an und erreichten gerade an einem Festtage die Stadt, in
welcher Karl sein Hoflager hielt. Ein großes, erhabenes Gebäude, das
sie für die Wohnung des Frankenkönigs hielten, zog ihre Blicke auf
sich, und da sie die Pforten desselben weit geöffnet und viele Menschen
hineingehen sahen, zögerten auch sie nicht und folgten. Aber sie traten
nicht in das Haus des Königs, sondern in das Haus Gottes, in die
Kirche, und erblickten hier den gewaltigen Karl, den sie sonst nur in der
Kampfeswuth mit dem rauchenden Schwert in der Hand gesehen, in tiefer
Andacht und Demuth und in einfach schmuckloser Kleidung mit vielen
fränkischen Edlen vor dem Altare kniend, wo eben das Abendmahl aus¬
getheilt wurde. Da ahnten sie bald, wo sie waren; doch hier stand kein
blutiger Opferaltar, hier tönte nicht das Todesächzen unglücklicher
Schlachtopfer, nicht das Beschwörungsgeschrei wüthender Priester; jede
Leidenschaft schien daheim geblieben und der heilige Frieden unzerstörbar,
der hier in seiner Wohnung alle umfing. Wittekind und Alboin wurden