Full text: (Für die fünfte Klasse) (Abteilung B, [Schülerband])

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Am häuslichen Äerd. 
Ihr seht also, die zweite Stimme ist nicht bloß so eine Dienerin 
der ersten Stimme, die ein wenig dunkler singt, damit der Helle Glanz 
der sührenden Melodie um so schöner hervortrete, — sondern sie hat 
ihre ganz besondere Aufgabe, ja vielleicht hat sie sogar die feinere und 
größere Aufgabe: sie dient der allertreuesten Wahrhaftigkeit, sie erinnert 
an manches, was der Mensch vergißt und übersieht, wenn er in einen: 
großen Gefühl befangen ist — so wie ihr bei Schlittenwetter aus lauter 
Freude vergeßt, euch die Stiefeln draußen zu reinigen, und dem Mädchen 
schwere Arbeit macht. 
Ich denke dabei immer an das menschliche Leben. Auch da gibt 
es Menschen, die, wie man sagt, die erste Violine spielen oder die erste 
Stimme singen, und Menschen, welche die zweite Stimme übernehmen 
müssen. In jedem Äause, in jedem Berufe, überall ist es so. Llnd da 
gibt es nun viele, die furchtbar unglücklich sind, wenn sie nicht die ton¬ 
angebende Melodie haben, sondern unscheinbare und untergeordnete 
Arbeit verrichten müssen und im Hintergrund stehen. Sie sollten immer 
daran denken, daß die zweite Stimme unendlich vieles ausdrücken kann, 
was die erste Stimme übergehen muß, — und oft gerade das Feinste 
und Zarteste: so kann ein Mensch auch in einer untergeordneten und 
bescheidenen Stellung oder wenn er wegen seiner Erscheinung und wegen 
seiner Gaben wenig beachtet wird, doch in seinem Leben und Tun die 
Giite und Treue im Kleinen zum Ausdruck bringen und das wieder 
gutmachen und ergänzen, was die Großen und Erfolgreichen in: Rausche 
ihres Ruhmes übersehen und ungetan lassen oder unrichtig tun. Darum 
sagt der steierische Dichter Stieler: 
„Was die großen Leut' schuldi 
oft bleiben — o mein, 
oft bringt's unser Äerrgott 
durch kleine Leut' ein!" 
Friedrich Wilhelm Foerster. 
97. Über die Zeit. 
Wenn du das Leben liebst, so verschwende die Zeit nicht, denn 
aus Zeit besteht das Leben. Wieviel mehr Zeit, als nötig ist, ver¬ 
schwenden wir nicht durch den Schlaf tlnd vergessen immer, daß ein 
schlafender Fuchs kein Äuhn fängt. Wenn die Zeit von allen Dingei: 
das kostbarste ist, so ist das Zeitverderben die allerschändlichste Ver¬ 
schwendung; denn verlorene Zeit findet man niemals wieder, und was 
wir nennen „Zeit genug", heißt verdolmetscht „zu wenig Zeit". So 
lasset uns denn früh auf sein und arbeiten, was wir zu tun haben, so 
werden wir mehr tun und alles besser machen. Jean Paul.
	        
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