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vorwärts ging, so beschloß der Kaiser, des Zögerns müde, hindurch zu schwim-
men. Man warnte ihn, er möchte sich nicht dem unbekannten Wasser anver¬
trauen; aber furchtlos wie immer sprengte er mit dem Pferde in den Strom.
Da aber ergriffen die Wellen den allzu kühnen Greis und rissen ihn fort. Er
arbeitete sich zwar wieder empor, und ein Ritter, der ihm eiligst nachgeschwom¬
men war, ergriff ihn, aber beide gerieten in einen Wirbel des Stromes, der
sie auseinander riß. Ein zweiter, der sich mit dem Pferde ins Wasser geworfen
hatte, brachte den Kaiser zwar ans Land, aber als Leiche.
Über alle Beschreibung war die Trauer und Bestürzung des Heeres.
Jeder glaubte, in dem Kaiser seinen Vater verloren zu haben. Mehrere kehrten
sogleich zu Schiffe in ihre Heimat zurück. Das übrige Heer führte des Kaisers
Sohn, Herzog Friedrich, bis zur Stadt Akka und belagerte sie lange. In
Deutschland wollte man lange nicht glauben, daß der Schirmherr des Reiches,
der gefürchtete und geachtete Kaiser Rotbart, wirklich gestorben sei. Die Volks¬
sage hat ihn nach Thüringer in die Burg Kyffhäuser versetzt. Dort sitzt er
im unterirdischen Saale nachdenkend und sinnend am marmornen Tische. Zu
Zeiten gelingt es einem Sterblichen, in jenes Gemach zu dringen. Dann wacht
der Kaiser aus seinem Schlummer auf, schüttelt den roten Bart und begehrt
.Kunde, ob noch krächzende Raben den Kyffhäuserberg umkreisen. So lange
die schwarzen Vögel noch um die Felsenkrone flattern und ein Adler sie nicht
Hinweggetrieben hat, so lange — meldet die Sage — verharrt auch der Alte
noch in seiner verzauberten Burg. Vernimmt er, daß sie noch kreischen, so
blickt er düster vor sich hin, seufzt tief und spricht: „Schlafe wieder ein, müde
Seele! Noch muß ich hundert Jahre harren, bevor ich wieder unter meinem
Volke erscheine." Zuletzt soll den schlummernden Kaiser ein Hirt gesehen haben,
der seine Ziegen durch die Goldene Aue trieb und sich am Kyffhäuserberg ver¬
irrte. Der Bart des Kaisers war beinahe um den Marmortisch geschlungen.
Wenn er denselben ganz bedeckt, dann erwacht Friedrich Barbarossa, und die
Raben sind verscheucht.
145. Rudolf inm Habsburg.
a) Der fromme Graf.
Von A. W. Grube. Charakterbilder. Leipzig, 1861 ff.
Graf Rudolf von Habsburg ritt einmal mit seinen Dienern aufs Weid¬
werk zum Beizen und Jagen, und wie er in eine Aue kam, er allein mit seinem
Pferde, so hörte er eine Schelle klingen. Er ritt den: Getön nach durch das
-Gesträuch, zu erfahren, was da wäre. Da fand er einen Priester mit dem hoch-
würdigen Sakramente und seinen Meßner, der ihm das Glöcklein vortrug; da
stieg Graf Rudolf von seinem Pferde, kniete nieder und bewies dem heiligen
Sakramente seine Verehrung. Nun war es an einem Wässerlein, und der Priester
stellte das heilige Sakrament neben sich, sing an seine Schuhe auszuziehen und
wollte durch den Vach, der sehr angeschwollen, hindurchwaten, denn der Steg
war durch Anwachsen des Wassers hinweggerissen. Der Graf fragte den Priester,