219
Ein Eisvogel, aufgescheucht durch unsere Schritte, schwirrte den Bach
entlang talauf, ließ sich aber bald wieder auf eine schneebedeckte Klippe nieder,
die hoch aus dem Wasser emporragte. Sein lasurblaues, schimmerndes Feder¬
kleid stach gar schön von dem blendenden Weiß des Schnees ab. Er hatte uns
seine rostbraune Brust und seinen langen Schnabel zugekehrt und behielt uns
fortwährend im Auge. Als wir näher kamen, flog er wieder eine Strecke weiter
und wiederholte dies mehrere Male, stets mit einem Schrei des Unwillens.
Vielleicht hatten wir den armen Schelm um seinen Morgenimbiß gebracht
und den Fang einer Forelle verhindert. Auch eine Wasseramsel, diese unzer¬
trennliche Gefährtin des brausenden und schäumenden Waldbachs, wurden
wir gewahr. Mit einem Knix sprang sie vom Steine in die Flut hinab, ließ
eine kühle Welle über Kopf und Rücken spielen, stieg wohlgemut aus den:
Strudel wieder empor und flog, ganz nahe über dem Spiegel des Wassers
dahinschwebend, den Berg hinaus.
Außer den beiden Vögeln sahen uird hörten wir lange Zeit nichts Leben¬
diges. Im Winter schweigt der Wald. Wir mochten etwa zwei Stunden gestiegen
sein, als wir in die Gegend kamen, wo die Klippen und Felsblöcke rings um
den Brocken herumliegen und bis zu seiner Spitze hinausgehen. Ganze Täler
und Bergabhänge sind mit ihnen übersät. Bald liegen sie dicht gedrängt neben¬
einander, Block an Block wie die Steine eines Straßenpflasters, so daß man
stundenlang ungefährdet auf ihren abgerundeten Köpfen dahinwandern kann,
bald sind sie wild übereinander aufgetürmt und nur mit Mühe und Gefahr
zu erklettern. Hier bilden sie lange Terrassen, und dort stellen sie die Stufen
einer Riesentreppe dar; hier sind sie ineinander verrammelt und verkeilt, daß
sie für die Ewigkeit eingemauert zu sein scheinen, und dort hängen sie drohend
über, als könnten sie jeden Augenblick hinabstürzen.
Vorsichtig mit dem Stocke den Schnee untersuchend, der die Spalten
der Steine überbrückt hatte, gelang es uns, bis zur höchsten Spitze einer weit
über die Tannen hinausragenden Klippe emporzuklimmen. Soweit das Auge
reichte, war alles mit Schnee bedeckt. Da war kein Stein, kein Baun: vergessen,
das kleinste Zweiglein hatte sein Teil bekommen, und mancher Dornenstrauch,
der in: Sommer alles Schmuckes entbehrte, war auf das wundervollste mit
funkelnden Reifkristallen geschmückt. Selbst den hohen, verdorrten Riedgräsern
waren die zartesten Kristalle angehaucht. Am fernen Horizonte zeichnete sich
die hoch emporragende Josefshöhe in scharfen Linien ab, schärfer als in den
Sommertagen. Auch die Viktorshöhe und der an: Bodetale belegene Hexen¬
tanzplatz waren deutlich zu erkennen. Aber sonst Tannen, nichts als Tannen,
soweit das Auge reichte.
Je höher wir kamen, desto tiefer lag der Schnee, und desto empfindlicher
wurde die Kälte. Der gangbare Weg hörte auf, jedoch war die Richtung des
Weges zwischen den hohen Tannen hin leicht zu erkennen, und da der hart
gefrorene Schnee das völlige Einsinken verhinderte, so kamen wir, wenn auch
mühsam, bald dahin, wo der Wald aufhört und der schöne Scheitel des Brockens