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Es ist einer der wesentlichsten unter den Gesichtspunkten, die in den Lehr¬
plänen von 1901 zur Geltung gekommen sind, daß der deutsche Unterricht
für alle Gattungen der höheren Lehranstalten das Gleiche zu leisten hat, ja
daß er ein zentrales Organ im Gesamtorganismus unserer höheren Schulen
sein soll, in das die sämtlichen Lehrfächer, welche für die verschiedenen Bil¬
dungswege wichtig und charakteristisch sind, Leben empfangend und Leben
zuführend, einmünden sollen. Irre ich nicht, so sind bei weitem die meisten
unter den gebräuchlichen Lesebüchern ursprünglich auf eine bestimmte Schulart
berechnet gewesen, und wiewohl sie durch zeitgemäße Überarbeitungen diesen
Charakter mehr und mehr abgestreift und ihre Richtung erweitert haben,
so sind auch in den besten die Spuren jenes Ursprungs noch mehrfach bemerk¬
bar. Zumeist ist es das humanistische Gymnasium, das als herrschende Schul¬
form Auswahl und Richtung der Lesebücher bestimmt und besonders die Be¬
handlung der Naturwissenschaften und der neueren Geschichte beschränkt hat.
Dem gegenüber kommt es für ein neues, aus den heutigen Verhältnissen
hervorgehendes Lesebuch darauf an, die verschiedenen Fächer gleichmäßig ihrer
Bedeutung entsprechend zu berücksichtigen und dadurch in der Tat für die
einheitliche Gestaltung des deutschen Unterrichts auf den verschiedenen Arten
von Schulen ein brauchbares Hilfsmittel zu bilden. Anderseits muß dem Buch
freilich die innere Einheit gewahrt bleiben, durch die es allein ein organischer
Mittelpunkt für den Unterricht zu werden vermag.
Dieser umfassenden Aufgabe nun freilich konnte ich mich allein nicht
gewachsen fühlen. Es bedurfte dazu einer Anzahl von Mitarbeitern, welche
die einzelnen in Betracht kommenden Fächer vollständig beherrschten und
zugleich die allgemeinen Grundsätze, nach denen das Gesamtwerk zu gestalten
war, als die ihrigen ansehen konnten und wollten. Denn um jene angestrebte
Verbindung von Vielseitigkeit und Einheit zustande zu bringen, erschien es
notwendig, die gemeinsame Arbeit anders zu verteilen, als das sonst bei
Unternehmungen dieser Art gebräuchlich ist. Nicht die einzelnen Bände des
Werkes wurden verschiedenen Mitarbeitern zugeteilt, vielmehr sollte jedes
einzelne Fach von derselben Hand durch die verschiedenen Altersstufen hinauf¬
geführt werden, ähnlich wie das ja auch oft und zum Vorteil der Schule
in der praktischen Verteilung des Unterrichts der Fall ist. Wurde dann das
so Entstandene nach gemeinsamen Grundsätzen von einer ordnenden Hand
zusammengefaßt, so konnte man in der Tat hoffen, die gewünschte organische
Einheit des Ganzen entstehen zu sehen. Es mußte somit das endgültige
Zustandekommen des Werkes davon abhängig sein, ob es gelingen würde,
eine Anzahl von Mitarbeitern zu gewinnen, die jenen Anforderungen ent¬
sprächen und auf den Plan einzugehen gewillt wären.
Daß es mir nun in der Tat in verhältnismäßig kurzer Zeit geglückt
ist, einen Kreis von hervorragenden und durchweg schriftstellerisch bewährten
Schulmännern der verschiedenen Fächer auf diesen Plan hin zu vereinigen,
daß mir von jedem einzelnen unter ihnen eine freundliche und verständnisvolle