Erzählungen, Beschreibungen und Schilderungen.
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so steckte er sie zu sich, ihr zu Hause die schöne Haut abzustreifen
War das recht?"
„Ach, schweig nur, erwiderte der Knabe. Welcher Undankbare
hätte sich nicht zu entschuldigen gewußt!"
„Recht, mein Sohn, fiel der Vater, der dieser Unterredung
zugehört hatte, dem Knaben ins Wort. Aber gleichwohl, wenn du
einmal von einem außerordentlichen Undanke hören solltest, so unter¬
suche ja alle Umstände genau, bevor du einen Menschen mit so einem
abscheulichen Schandflecke brandmarken lässest. Wahre Wohltäter
haben selten Undankbare verpflichtet; ja, ich will zur Ehre der Mensch¬
heit hoffen — niemals. Aber die Wohltäter mit kleinen, eigennützigen
Absichten, die sind es wert, mein Sohn, daß sie Undank anstatt
Erkenntlichkeit einwuchern."
Vgl. Asop 96. 97, 97b; Steinhöwel S. 198.
58. Drei Lehren (Tria vera).
Nach Haupts Zeitschrift VII 343.
Ein Vogelsteller fing eine Lerche und wollte sie töten. Da bat
sie ihn um Schonung und sprach: „Herr, laß mich leben! ich gebe dir
drei Lehren, die dir Glück und Ehre bringen können." Der Mann
war es zufrieden und sagte: „Nun lehre!" Die Lerche sprach: „Was
dein ist, halte fest!" Zum zweiten: „Glaube nicht alles, was geredet
wird, zumal wenn es gelogen ist!" Drittens: „Klage nicht um ver¬
lorenes Gut, wenn du es nicht wiedererlangen kannst!" — Indem
schlug die Lerche in die Flügel und flog auf einen hohen Ast; von
hier rief sie dem Manne zu: „Du Tor, daß du mich losließest, da
ich dein eigen war! Ich trage einen Stein in meinem Magen, größer
als ein Straußenei; hättest du den herausgeschnitten, so wärest du
reich genug gewesen für dein ganzes Leben."
Der Bauer raufte sich zornig das Haar, daß ihm der Schatz
entgangen sei. Da sprach der Vogel: „Nun mißachtest du auch meine
zweite Lehre! Wie kannst du glauben, daß ich einen Stein bei mir
trage, größer als ich selber? So befolge wenigstens den dritten Spruch
und klage nicht über meinen Verlust; mich fängst du nimmermehr."
Der Wolf, der in ein anderes Land ziehen will, läßt sich vom Schiffer über
den Fluh setzen und gibt als Lohn drei Lehren: 1. Was gut ist, ist gut. 2. Wenn das
Gute sich in Böses verkehrt, taugt es nicht. 3. Was man einem Schlimmen Gutes
tut, ist verloren.