Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

W. von Kügelgen, Wie man früher reiste. 
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an Wäsche und Kleidern besaß, und sah wie das Heidelberger 
Faß aus. Der Kutscher hatte jeden Einsteigenden im Geist gewogen 
und zu schwer befunden. Als er aber dieses Ungeheuers von 
Mädchen ansichtig wurde, tat er einen schauderhaften Fluch und 
schwur, ihn solle dieser oder jener holen, wenn er sie in den 
Wagen ließe. 
So möge er sich denn hinpacken, woher er gekommen wäre, 
schrie ihn der Vater an, ließ wieder abladen, und dieser erste 
Anlauf war gescheitert. 
B. 
Mamsell Schäfer — unsere Nachbarin — hatte aus ihrem 
Fenster das ganze Mißgeschick mit angesehen. Sie hatte zwar nur 
mit uns Kindern Umgang gehabt und kannte namentlich meine 
Mutter, die ebenso einhäusig war wie sie selbst, nur von gelegent¬ 
lichen nachbarlichen Fensterbegrüßungen. Nichtsdestoweniger fühlte 
sie sich nun zu einer Tat bewogen, welche über die notwendigste 
Nächstenliebe noch hinausging. Sie bot uns nämlich ihren eigenen 
Reisewagen an, und wußte sogar Pferde aus einem benachbarten 
Dorfe aufzutreiben, sodaß unsere Abreise sich schon am nächsten 
Morgen erfüllen konnte. 
Aber trotz bester Equipage war es doch immer nicht die beste 
Fuhre. Die Wege gingen auf, und der Wagen taumelte wie ein 
Trunkenbold von einer Seite auf die andere, bis er schließlich in 
der Naumburger Gegend in einem Schneeloch stecken blieb. Mein 
Vater und der Kutscher sprangen ab. Sie durchnäßten sich fast 
bis zum Halse, indem sie mit Geschrei und Prügeln taten, was sie 
konnten; auch legten sich die Pferde mit allen Kräften ins Geschirr 
und taten ebenfalls, was sie vermochten; aber der Wagen stand wie 
eingenietet. 
Da schien es denn ein Glück zu sein, daß ganz in nächster 
Nähe ein Haufen Schneeschipper arbeitete. Mein Vater sprach sie 
an; sie sagten aber, sie wären angestellt, die verschneiten Wege 
auszuschaufeln, daß kein Wagen hineinpoltere, und das übrige 
ginge sie nichts an. Der Kutscher entgegnete, die Löcher auf der 
Straße wären schlimmer als alle Gräben, und sie sähen doch, daß 
wir schon darin stäken; aber es war nichts mit ihnen anzufangen. 
So saßen wir denn abermals fest, und keine Mamsell Schäfer 
guckte zum Fenster heraus. Mein Vater und der Kutscher hielten 
Kriegsrat, und es schien nichts anderes übrig zu bleiben, als den 
Wagen zu entleeren und abzupacken; eine schlimme Aussicht für 
die kränkelnde Mutter und uns alle. Aber siehe! da nahte sich 
mit fröhlichem Gesänge eine kleine auf dem Marsch begriffene Ab¬ 
teilung von etwa zwanzig Soldaten. Als diese sahen, was hier los 
oder vielmehr stecken gebheben war, legten sie unaufgefordert und
	        
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