Full text: [Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband]] (Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband])

Zur festgesetzten Zeit erschienen sie in großen Schwärmen; Hunger 
und Langeweile, Not und Neugier hatten sie hergetrieben. Da gab es 
graue und schwarze Krähen, plumpe und zierliche, junge Gelbschnäbel und 
erfahrene Urgroßväter. Alle ließen sich erwartungsvoll um den alten 
Schuppen nieder. 
Eine dickköpfige weise Krähe meldete sich zum Wort. „Meine ge¬ 
liebten Freunde," krächzte sie, „ihr kennt die Not, die uns hier zusammen¬ 
führt. Wir können unser tägliches Brot in dieser schweren Zeit nicht 
mehr finden, und schon mancher ist Hungers gestorben in unseren Feldern. 
Viele sind so matt, daß sie kaum noch fliegen können. Daran ist vor 
allem der Schnee schuld, diese Himmelsplage, die keinen Zweck weiter hat, 
als uns Krähen das Leben zu erschweren. Wenn er nicht wäre, könnte 
man immer noch das Nötigste finden. In langen, schlaflosen Nächten 
habe ich mir das klar gemacht und beschlossen, euch folgenden Vorschlag 
zu unterbreiten. Wir müssen den Schnee fortschaffen und das Land frei¬ 
legen; alle müssen an dem Rettungswerk mitarbeiten. Seid ihr damit 
einverstanden?" 
„Ja, ja," rief das Volk mit hoffnungsvollem Gekrächz; nur eine 
Einzelstimme fragte: „Aber wie?" 
„Das werdet ihr gleich hören," sagte die weise Krähe, und während 
sie ihren Schnabel putzte und sich aufplusterte, fuhr sie mit gewichtiger 
Miene fort: „Es ist keine leichte Arbeit, die ich euch zumute, es gilt 
nämlich, den Schnee fortzutragen. Jeder nimmt auf Rücken und Flügel, 
soviel er vermag, und so tragen wir ihn auf einen Berg zusammen, bis 
das Land frei ist." 
Einige Alte schüttelten bei diesem Vorschlag bedenklich die Köpfe; 
aber die Mehrheit jubelte der Rednerin zu, und am nächsten Tage be¬ 
gann das große Werk. 
Die Krähen waren fleißig wie noch nie, fast über ihre Kräfte, und 
doch war nach acht Tagen erst eine einzige Ackerfurche freigelegt. Und 
was sie da an Nahrung fanden, reichte kaum für zehn hungrige Schnäbel. 
Da ermüdeten schon viele und ließen ihre Genossen im Stich, und nach 
abermals acht Tagen war kein Arbeiter mehr zur Stelle. 
Der Schnee fiel wieder in dichten Flocken, als sich die Krähen aufs 
neue versammelten. Diesmal waren sie noch bekümmerter, und ein lautes 
Krächzen und Schreien verriet ihre Erregung. Eine vornehme Krähe 
schrie, man solle die Spatzen zwingen, Brot herbeizuschaffen, die hätten 
List und Frechheit genug, die Menschen zu bestehlen. Aber der Antrag 
wurde mit Empörung zurückgewiesen. 
Eine junge Krähe schlug vor, es den Schwalben und Störchen nach¬ 
zumachen und in warme Länder auszuwandern. Aber als man sie nach 
dem Weg fragte, wußte sie ihn nicht; sie hatte bloß gehört, daß er übers
	        
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