Full text: [Teil 5 = (6. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 5 = (6. Schuljahr), [Schülerband])

86 
Gewände birgt sich oft ein magerer Gehalt, aber was tut es? Oie Ware 
geht ab, und es füllt sich des Händlers Zäckel. Va, wo die Rcichsstraße 
in die Grimmaische mündet, steht neben einem jungen Gesellen ein hagerer 
Mann, der ein angehender Dreißiger sein muß und mit einem langen 
braunen Rocke angetan ist, den er wohl schon eine gute Zeit getragen 
hat, da von Molle nicht viel mehr darauf zu sehen ist. Gr hat einen Tisch vor 
sich, auf dem zwei päcklein ungebundener dünner Zchriften liegen. Ruf 
der zu oberst liegenden liest man den Titel: „Über die pflichten gegen 
die Armen, predigt von Magister A. h. Franke." 
Was ist das für ein Mann? Zoll das ein Buchhändler sein? Er 
steht so still an seinem Tische und so bescheiden, er schreit seine Ware nicht 
aus — er hat sein Handwerk wohl schlecht gelernt? Gder schämt er sich, 
seine dürftige, unscheinbare Ware auszuprahlen? Spott hat er auch schon 
genug hören müssen, nicht bloß von den Buchführern zur Rechten und 
zur Linken, die mit hochmütigem Naserümpfen auf den armen Zchlucker 
niederschauen, sondern auch von dem vorüberziehenden Volke, dem der 
lange, dürre Buchführer mit seinem armseligen Gesellen doch zu spaßig 
vorkommt. Aber nur still, da kommt eine vornehme Dame, die bleibt 
an dem Tische des wunderlichen Mannes stehen und liest den Titel der 
predigt. Wie von einem Blitze durchzuckt, nimmt sie ein heft auf und 
ruft entzückt: „von Francke eine predigt? Was kostet sie?" 
„Drei Groschen, meine Werteste!" 
Oer Buchführer streicht das erste Geld ein. Rach einer Weile ist 
die Dame wieder da und hat einen vornehmen Herrn bei sich mit einem 
Ordensband im Rnopfloche. Der nimmt gleich zehn solcher hefte und 
zahlt seine dreißig Groschen auf den Tisch. 
Va kommt ein Stein geflogen und zwar gerade in den Haufen der 
predigten hinein, die nun wie Zpreu auseinanderfliegen. Unter dem 
rohen Gelächter einer Zchar von Buben liest der Buchführer mit seinem 
Gesellen die davongeflogenen Blätter zusammen und sagt halblaut zu 
dem Burschen: „Für die Zteine sollen sie uns noch Geld bringen und 
einen Legen dazu mitnehmen!" 
Inzwischen haben sich etliche Leute um den Tisch gesammelt, die durch 
den Unfall aufmerksam geworden sind- zum größten Teile waren es 
Bauern von den umliegenden Dörfern. Sie besehen sich auch die predigt,- 
und ein alter Bauer sagt: „Gerechter Gott, ist das der Francke, der von 
sieben Gulden ein Waisenhaus gebaut hat? Zolch eine predigt muß ich 
auch haben!" Die andern folgen seinem Beispiele, und während sie in 
lebhafter Unterhaltung über den Waisenhausbau in halle um den Tisch 
herstehen, sammelt sich noch mehr Volk, und die predigten gehen reißend 
ab. Rls der Abend hereinbricht, ist nahezu die Hälfte verkauft, und am
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.