Full text: Für untere Klassen (Abteilung 1, [Schülerband])

205 
mas, des Königs Sohn, den Helden zum Wettkampfe auf; doch 
dieser schützte seinen Schmerz vor und seine Sehnsucht nach 
dem Vaterlande. Darüber verspottete ihn einer, und meinte, 
er müsse kein Kämpfer sein, sondern etwa ein Kaufmanns¬ 
diener oder dergleichen. Aber der Held versicherte, daß er es 
mit jedem aufnehmen wolle, und schnellte eine schwere steinerne 
Scheibe zum Erstaunen aller mit solcher Kraft in die Luft, 
daß sie weit hinter die Ziele der andern hinrollte. Nun wagte 
sich keiner an ihn, die Spiele wurden aufgehoben, und der 
Sänger mußte nun noch etwas Lustiges singen, worauf chlige 
Jünglinge mit bewundernswerter Geschicklichkeit tanzten. Die 
Phäakenfürsten vereinigten sich, dem Fremden, der sich so edel 
und verständig zeigte, jeder einen Anzug zu schenken, d. h. 
ein enges Unterkleid und ein langes und weites Obergewand, 
beides von Wolle und ohne Ärmel. So einfach war die 
Kleidung jener Zeit. An Beinkleider, Strümpfe, Hemde, Schuhe, 
Halstuch, Hut u. s. w. ist um diese Zeit und lange nachher 
noch gar nicht zu denken. Eine so enge Kleidung wie die 
unsrige würde den Alten unerträglich gewesen sein. 
Und nun ein schöner Zug eines unbesonnenen Jünglings! 
Auch der oben erwähnte Spötter kam bescheiden zum Odysseus 
und überreichte ihm sein prächtiges Schwert mit silbernem 
Hefte und elfenbeinerner Scheide zum Versöhnungsgeschenke 
mit den freundlichen Worten: „Sei wieder gut, o Vater! und 
fiel ein kränkendes Wort hier unter uns vor, so mögen es 
schnell die Stürme verwehen. O verliehen dir doch die Götter, 
Heimat und Gattin wieder zu sehen, nachdem du so lange in 
Trübsal geirret." Der Held erwiderte den Wunsch ebenso 
freundlich und hängte das Schwert um die Schultern. 
Und sie gingen am Abend wieder in den Palast zurück, 
wo Odysseus die sämtlichen Geschenke in einer köstlichen Lade 
empfing, welche er hierauf statt des Schlosses mit einem künst¬ 
lichen Knoten verwahrte. Darauf ward er von der Schaffnerin 
herausgerufen, um ins warme Bad zu steigen, welches ihm 
die Mägde bereitet hatten. Und als er, frisch gebadet und 
gesalbt, wieder in den Saal gehen wollte, sieh, da stand ver¬ 
schämt an der Thür die gute Nausikaa, die sich heimlich aus 
ihrem Oberstübchen herunter geschlichen hatte, um dem Fremd¬ 
ling noch ein kurzes Lebewohl zur Abreise zu sagen, da sie 
fürchtete, ihn sonst nicht wieder zu sehen; denn es war nicht 
Sitte, daß Jungfrauen sich in die Kreise der Männer mischten. 
„Lebe wohl, o Fremdling!" sprach sie leise, „und denk auch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.