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mas, des Königs Sohn, den Helden zum Wettkampfe auf; doch
dieser schützte seinen Schmerz vor und seine Sehnsucht nach
dem Vaterlande. Darüber verspottete ihn einer, und meinte,
er müsse kein Kämpfer sein, sondern etwa ein Kaufmanns¬
diener oder dergleichen. Aber der Held versicherte, daß er es
mit jedem aufnehmen wolle, und schnellte eine schwere steinerne
Scheibe zum Erstaunen aller mit solcher Kraft in die Luft,
daß sie weit hinter die Ziele der andern hinrollte. Nun wagte
sich keiner an ihn, die Spiele wurden aufgehoben, und der
Sänger mußte nun noch etwas Lustiges singen, worauf chlige
Jünglinge mit bewundernswerter Geschicklichkeit tanzten. Die
Phäakenfürsten vereinigten sich, dem Fremden, der sich so edel
und verständig zeigte, jeder einen Anzug zu schenken, d. h.
ein enges Unterkleid und ein langes und weites Obergewand,
beides von Wolle und ohne Ärmel. So einfach war die
Kleidung jener Zeit. An Beinkleider, Strümpfe, Hemde, Schuhe,
Halstuch, Hut u. s. w. ist um diese Zeit und lange nachher
noch gar nicht zu denken. Eine so enge Kleidung wie die
unsrige würde den Alten unerträglich gewesen sein.
Und nun ein schöner Zug eines unbesonnenen Jünglings!
Auch der oben erwähnte Spötter kam bescheiden zum Odysseus
und überreichte ihm sein prächtiges Schwert mit silbernem
Hefte und elfenbeinerner Scheide zum Versöhnungsgeschenke
mit den freundlichen Worten: „Sei wieder gut, o Vater! und
fiel ein kränkendes Wort hier unter uns vor, so mögen es
schnell die Stürme verwehen. O verliehen dir doch die Götter,
Heimat und Gattin wieder zu sehen, nachdem du so lange in
Trübsal geirret." Der Held erwiderte den Wunsch ebenso
freundlich und hängte das Schwert um die Schultern.
Und sie gingen am Abend wieder in den Palast zurück,
wo Odysseus die sämtlichen Geschenke in einer köstlichen Lade
empfing, welche er hierauf statt des Schlosses mit einem künst¬
lichen Knoten verwahrte. Darauf ward er von der Schaffnerin
herausgerufen, um ins warme Bad zu steigen, welches ihm
die Mägde bereitet hatten. Und als er, frisch gebadet und
gesalbt, wieder in den Saal gehen wollte, sieh, da stand ver¬
schämt an der Thür die gute Nausikaa, die sich heimlich aus
ihrem Oberstübchen herunter geschlichen hatte, um dem Fremd¬
ling noch ein kurzes Lebewohl zur Abreise zu sagen, da sie
fürchtete, ihn sonst nicht wieder zu sehen; denn es war nicht
Sitte, daß Jungfrauen sich in die Kreise der Männer mischten.
„Lebe wohl, o Fremdling!" sprach sie leise, „und denk auch