Full text: [Teil 1, Abteilung 1 = (Für Sexta), [Schülerband]] (Teil 1, Abteilung 1 = (Für Sexta), [Schülerband])

*1 - 
A. 
Epische Poesie. 
I. Zabeln. 
79. Vom schlafenden Apfel. 
Von Robert Reinick. Deutscher Jugendkalender für 1850. Leipzig. 
1. Im Baum im grünen Blättchen 
och oben sich ein Apfel wiegt, 
er hat so rote Bäckchen, 
Man sieht's, daß er im Schlafe liegt. 
2. Ein Kind steht unterm Baume 
Das schaut und schaut und rufthinauf: 
„Ach, Apfel, komm herunter! 
Hör' endlich doch mit Schlafen auf!" 
3. Es hat ihn so gebeten. 
Glaubt ihr, der wäre aufgewacht? 
Er rührt sich nicht im Bette, 
Sieht aus, als ob im Schlaf er lacht. 
4. Da kommt die liebe Sonne 
Am Himmel hoch daherspaziert. 
„Ach Sonne, liebe Sonne, 
Mach' du, daß sich der Apfel rührt!" 
5. Die Sonne spricht: „Warum 
nicht?" 
Und wirft ihm Strahlen ins Gesicht, 
Küßt ihn dazu so freundlich; 
Der Apfel aber rührt sich nicht. 
6. Nun schau'! Da kommt ein Vogel 
Und setzt sich auf 'den Baum hinauf. 
„Ei, Vogel, du mußt singen; 
Gewiß, gewiß, das weckt ihn auf!" 
7. Der Vogel wetzt den Schnabel 
Und singt ein Lied so wundernett 
Und singt aus voller Kehle; 
Der Apfel rührt sich nicht im Bett. 
8. Und wer kam nun gegangen? 
Es war der Wind, den kenn' ich schon; 
Der küßt nicht, und der singt nicht, 
Der pfeift aus einem andern Ton. 
9. Er stemmt in beide Seiten 
Die Arme, bläst die Backen auf 
Und bläst und bläst; und richtig, 
Der Apfel wacht erschrocken auf 
10. Und springt vom Baum herunter 
Grad' in die Schürze von dem Kind; 
Das hebt ihn auf und freut sich 
Und ruft: „Ich danke schön, Herr 
Wind!"
	        
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