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Vierter Abschnitt.
stände schliesslich weder langweilig noch schwer verständlich
vorkämen, und er ihnen immer mehr Interesse abgewänne. Ein
ganz besonderes Vergnügen bereitete ihm der Geschichtsunter¬
richt. Häufig brachte er alte Münzen oder andere kleinere
geschichtliche Gegenstände mit ins Klassenzimmer, über die er
genaue Auskunft zu erteilen wusste. Auch war die deutsche
Litteratur eines seiner Lieblingsfächer; aus ihr wählte er gewöhnlich
die Stoffe zu seinen freien Vorträgen, die er mit grösster Un¬
befangenheit und Klarheit hielt. An allen Unterrichtsgegenständen
nahm er teil, das Französische ausgenommen, weil er dieser
Sprache bereits mächtig war. Genau dieselben Ansprüche wie
an seine Klassengenossen wurden im allgemeinen an ihn gestellt,
und es berührte ihn sichtlich unangenehm, wenn er von einem
Lehrer einmal bevorzugt wurde. Wie jeder andere unterzog er
sich auch freiwillig den kleinen Geschäften des sogen. Klassen¬
ordners; dazu gehörte das Reinigen der Wandtafel vor jeder
Stunde, das Zuspitzen der Kreide und das Anfeuchten des
Schwammes an der auf dem Schulhofe stehenden Pumpe.
In keiner Hinsicht verlangte er eine Ausnahme für seine
Person, y
Mit seinen Mitschülern verkehrte er stets in freundschaft¬
lichster Weise, und jedem war er zuvorkommend und gefällig.
Zu seinen Kameraden wählte er sich keineswegs die vor¬
nehmsten, sondern die würdigsten. Wer ihn in seiner ein¬
fachen Kleidung während der Pausen auf dem Schulhofe inmitten
der Primaner sah, ohne ihn zu kennen, der würde kaum einen
Unterschied in seinem Verhalten gegenüber dem der anderen
gefunden haben. Häufig spielte sich auf dem Schulhofe eine
unserem Berichterstatter unvergessliche kleine Scene ab. Da der
Prinz nämlich gleich nach dem Schlüsse der Schule um 11 oder
12 Uhr frühstückte, so genoss er in der Regel bis dahin nichts.
Mitunter stellte sich jedoch der Hunger zu früh ein, und dann
erbat er sich vom ersten seiner Klassengenossen, der ihm gerade
in den Weg kam, einen kleinen Frühstücksbissen. Natürlich
wurde ihm gern das ganze Frühstück angeboten, das fast aus¬
schliesslich in aufeinandergelegten Brotschnitten bestand. Das
nahm er aber nie an, sondern es wurde in der Weise kame¬
radschaftlich geteilt, dass der Prinz an der einen, der Mit¬
schüler an der anderen Seite anfasste und zog, so dass es dem
Zufall überlassen blieb, ob einer ein grösseres, der andere ein
kleineres Stück erhielt. So kam es auch einigemal vor, dass
der Prinz nur ein ganz winziges Stück erhielt; aber dann war
er nicht dazu zu bewegen, von dem besser bedachten Kame¬
raden noch wenigstens ein Stück dazu zu nehmen.
Einen oder auch zwei seiner Mitschüler lud er mehrfach an
einem bestimmten Wochentage in seine Wohnung, die im Winter im
sogen. Fürstenschloss in Cassel, im Sommer in Wilhelmshöhe