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Schnabel ist ein gelber, kurzer und rund gebogener Haken. Die gelben
Mden stehen vorn und sind mit einem Kraͤnze zurückgeschlagener Federn
umgeben, die einen Schleier bilden. Auch an den Ohrlöchern sind die
Federn etwas länger. Der Kopf ähnelt einem Katzenkopfe. Die Beine
sind bis auf die gelben Zehen beflederi. Die Zehen haben scharfe, ge⸗
mnnme Krallen. Die Endzehe läßt sich als fogenannte Wendezehe
nach vorn und nach hinten drehen.
Der Kauz bringt durch die Vertilgung von Mäusen und schãd⸗
lichen Insekten viel Nutzen. Es ist ein ihoͤrichter Frevel, den Kauz als
Voͤgelscheuche an das Scheunenthor zu nageln, wie man nücht selten sieht.
Et ist ein liebenswürdiges Sier inn mancherlei Tugenden. Er
ist außerordentlich wachsam ünd aufmerksam. Das leiseste Geräusch
erregt seine Aufmerksamkeit. Dann hebt er sich hoch in die Höhe,
macht allerlei drollige Verbeugungen und schaut listig, aber nicht bös⸗
artig auf den fremden Gegenstand. Er ist sehr periträglich und zankt
sich niemals mit seinesgleichen, so daß oft mehrere Paare in nãächster
Nachbarschaft zusammen brüten. Seine Neugierde heißt ihn nachts
jeden Lichtschimmer umkreisen, ja, wohl gar an erleuchtete Fenster stoßen.
Gewöhnlich ruft er dabei: Kuwitt!“ Daraus hat der Aberglaube
gehoͤrt: „Komm mit!“ nämlich auf den Kirchhof und ins Grab. Der
Kauz weiß aber so wenig wie ein Mensch, wenn eines Kranken letztes
Sludlein schlagen wird. Wenn sich der Kauz am Tage sehen läßt,
so wird er von den kleinen Vögeln mit wustem Geschreie verfolgt, bis
er seinen dunkeln Winkel glücklich wieder gefunden hat. Die jungen
Käuzchen sind in ein weißes weiches Wollröckchen gesteckt und gar
Punderliche Nere. Wegen ihres possierlichen Aussehens werden sie von
boͤsen Buben nicht selten lange gequält.
Die heidnischen Leute in der Stadt Athen hatten die Käuze ihrer
Gollin der Washeit geweiht und hielten sie hoch in Ehren, so daß
sie dort so häusfig waren wie bei uns die Sperlinge. Wenn jemand
sich eine recht überflüssige Muͤhe machte, so sagte man im Sprichworte:
Der trägt Eulen nach Athen.“ Fr. Polad. Originalbeitrag.
238. Heidenröslein. (a.)
1. Sah' ein Knab' ein Roslein stehn, Röslein auf der Heiden,
war so jung und morgenschön, lief er schnell es nah zu sehn, sah's
dielen Freuden. Roͤslein, Röslein, Röslein rot, Roslein auf der Heiden.
2. Knabe sprach: „Ich breche dich, Röslein auf der Heiden!“
Roͤslein sprach: „Ich steche dich, daß du ewig denkst an mich, und ich
lla nicht leiden.“ Roͤslein, Röslein, Roslein rot, Röslein auf der Heiden!
. Und der wilde Knabe brach's Röslein auf der Heiden Röoslein
wehrte sich und stach, half ihr doch kein Weh und Ach, mußt es eben
leiven. Roslein, Roöslein, Röslein rot, Roͤslein auf der Heidenn
Johann Wolfgang von Goethe. Sumtl. Werke in 0 Banden. Stuttgart. 1869. B. L. S. 5.