Full text: Deutsches Lesebuch für Sexta (Teil 1, [Schülerband])

Hebel: Der Husar in Neiße. 
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frischer Hand hundert, sage hundert Prügel bar ausbezahlen, und es war 
kein einziger falsch darunter. Dem Edelmann aber gab er unangetastet sein 
Eigentum zurück. — Das war brav, und wir wollen wünschen, daß jedem, 
der Einquartierung haben muß, ein so rechtschaffener Gast und jedem 
Verräter eine solche Belohnung zu teil werden möge. 
31. Der Husar in Neiße. 
Von I. P. Hebel. Nach G. Plieninger. Ausgewählte Erzählungen des 
Rheinländischen Hausfreundes. 
Als im Jahre 1792 die Preußen mit den Franzosen Krieg führten 
und durch die Provinz Champagne zogen, dachten sie auch nicht daran, daß 
sich das Blättlein wenden könne und der Franzose noch im Jahre 1806 
nach Preußen kommen und den ungebetenen Besuch wettmachen werde. 
Denn nicht jeder führte sich so auf, wie es einem braven Soldaten in 
Feindesland wohl ansteht. Unter anderem drang damals ein brauner, 
preußischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines fried¬ 
lichen Mannes ein, nahm ihm all fein bares Geld, soviel es war, und 
viel Geldeswert, zuletzt auch noch das schöne Bett mit nagelneuem Über¬ 
zug und mißhandelte Mann und Frau. Ein Knabe von acht Jahren bat 
ihn knieend, er möchte doch seinen Eltern nur das Bett wiedergeben. Der 
Husar stößt ihn unbarmherzig von sich. Die Tochter läuft ihm nach, hält 
ihn am Dolman fest und fleht um Barmherzigkeit. Er nimmt sie und 
wirft sie in den Brunnen, der im Hofe steht, und rettet seinen Raub. 
Nach Jahr und Tag bekommt er seinen Abschied, läßt sich in der 
Stadt Neiße in Schlesien nieder, denkt nimmer daran, was er einmal 
verübt hat, und meint, es sei schon lange Gras darüber gewachsen. Allein, 
was geschieht im Jahre 1806? Die Franzosen rücken in Neiße ein; ein 
junger Sergeant wird abends einquartiert bei einer braven Frau, die ihm 
w ohl aufwartet. Der Sergeant ist auch brav, führt sich ordentlich aus 
und scheint guter Dinge zu sein. Den andern Morgen kommt der Sergeant 
nicht zum Frühstück. Die Frau denkt, er werde noch schlafen, und stellt 
ihm den Kaffee ins Ofenrohr. Als er noch immer nicht kommen will, 
geht sie endlich in das Stüblein hinauf, macht leise die Thür auf und 
will sehen, ob ihm etwas fehle. 
Da saß der junge Mann wach und aufgerichtet im Bett, hatte die 
Hände ineinander gelegt und seufzte, als wenn ihm ein großes Unglück 
begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte oder so etwas, und 
sah nicht, daß jemand in der Stube war. Die Frau aber ging leise auf 
ihn zu und fragte ihn: „Was ist Euch begegnet, Herr Sergeant, und 
warum seid Ihr so traurig?" Da sah sie der Mann mit einem Blick 
voll Thränen an und sagte, die Überzüge dieses Bettes, in dem er heute 
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