da verband sich organisierter Stoff, und plötzlich stand vor dem Throne —
das häßliche Kamel.
Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu.
„Hier sind höhere und schmächtigere Beine,“ sprach Zeus; „hier ist ein
langer Schwanenhals; hier ist eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene
Sattel. Willst du, Pferd, daß ich dich so umbilden soll?“
Das Pferd zitterte noch.
„Gehl!“ fuhr Zeus fort. „Dieses Mal sei belehrt, ohne bestraft zu
werden! Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern,
so daure du fort, neues Geschöpf — Zeus warf einen erhaltenden Blick auf
das Kamel — und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern!“
G. E. Lessing. Gesammelte Werke. 1841. B. J. S. 135 f.
8. Die Tiere und der Mensch.
Eine heidnische Fabel erzählt: Nachdem der höchste Gott Jupiter die
Tiere und zuletzt den Menschen erschaffen, trat der Esel vor dessen Thron
und fragte ihn, wie lange er zu leben und was er zu thun habe. Darauf
versetzte Jupiter: „Dein Leben wird dreißig Jahre währen, und dein Thun
wird sein, daß du Lasten tragest, Hunger und Durst leidest, und falls du
lässig bist, noch Prügel kriegst obendrein.“ Da seufzte der Esel tief auf und
sagte: „Ach, gerechter Gott, wenn es doch also beschlossen ist, daß ich ein so
elendes Leben führen muß, so kürze mindestens meine Jahre um zwanzig ab
bis auf zehn!“ Dies bewilligte ihm Jupiter, und der Esel ging zufrieden
von dannen
Hierauf erschien der Hund und fragte gleichfalls, wie lang er zu leben
und was er zu thun habe. Jupiter antwortete: „Dein Leben wird dreißig
Jahre währen, und dein Thun wird sein, daß du den Menschen und seine
Habe bewachest Tag und Nacht und die Diebe verscheuchest durch Knurren,
Bellen und Beißen.“ Das gefiel dem Hunde nicht, der gern der Freiheit
genossen hätte, und er bat den Jupiter, daß, wenn er doch zur Sklaverei ge—
boren, die Jahre ihm abgekürzt werden bis auf zehn. Jupiter willfahrte
seiner Bitte, und der Hund entfernte sich dankbar.
Nach diesem erschien der Affe, der gleichfalls fragte, wie lang er zu leben
und was er zu thun habe. Dem antwortete Jupiter: „Dein Leben wird
dreißig Jahre währen, und dein Thun wird sein, daß du in deiner Mißgestalt
den Menschen als Schauspiel dienest und zum Gespötte der Kinder.“ Darüber
erboste sich schier der Affe, und er sagte: „Wenn ich doch zu weiter nichts
nutz sein soll auf dieser Welt, so kürze mir mindestens meine Jahre ab bis
auf zehn!“ Das ward ihm auch zugesagt.
Zuletzt erschien auch der Mensch vor dem Throne Jupiters, und er fragte
den Gott, wie lange er zu leben habe. Jupiter antwortete: „Dein Leben
wird dreißig Jahre währen.“ „Wie?“ fragte der Mensch, „nur dreißig Jahre?
Ist diese kurze Lebenszeit würdig des vollkommensten Wesens, das aus deiner
Hand hervorgegangen?“ Da sagte Jupiter: „Wohlan, so will ich dir denn
noch die zwanzig Jahre zulegen, die ich dem Esel, und die zwanzig, die ich