Object: Lesebuch für Mittelklassen

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361. Vom Kaiser Friedrich. 
L. Der Kronprinz als Dorfschullehrer. 
Kaiser Friedrich liebte es als Kronprinz, ganz plötzlich in der 
Schule seines Gutes Bornstedt zu erscheinen in welcher die Kinder 
des Dorfes unterrichtet wurden. Eines Tages nun kam der hohe 
Herr wiederum ganz unerwartet und traf den Lehrer in großer Be— 
stürzung und Verlegenheit, die derselbe vergebens vor dem Kron— 
prinzen zu verbergen suchte. Er hatte nämlich wenige Minuten vor⸗ 
her die Nachricht erhalten, seine Mutter, eine Predigerwitwe in 
Schlesien, liege im Sterben, er möge eilends nach Hause kommen; 
doch konnte er die Schulstunden ohne Erlaubnis seiner Vorgesehten 
natürlich nicht aussetzen. Als aber der Kronprinz darauf bestand, 
zu erfahren, welcher Kummer den Lehrer drücke, und dieser lefbe— 
wegt den voraussichtlichen großen Schmerz mitteilte, sagte der hohe 
Herr in freundlichen, leilnahmsvollem Tone. „Fahren Sie sofort nach 
Hause, ich übernehme die Verantwortung und — die Schulstunden 
eilen Sie, und gebe Gott, daß Sie Ihre Mutter noch lebend antreffen; 
ich weiß, was einem Sohne die Miler ist.“ Und kaum hatte der 
Lehrer das Schulzimmer verlassen, als auch schon der Kronprinz den 
Säbel abschnallte und an Stelle des Lehrers den begonnenen Leseunter 
richt fortsetzte. Nach der Lesestunde hieß es: „Jeßt wollen wir Geo— 
graphie treiben, holt mal den Globus her!“ Die Kinder, an das 
leutselige Wesen ihrer Gutsherrschaft gewöhnt, waren keineswegs ver— 
schüchtert durch ihren neuen Lehrer, und in Chor erhielt der Kron— 
prinz die Antwort: „Einen Globus haben wir nicht; der Lehrer 
nimmt immer den großen Gummiball da.“ Und richtig, der „neue 
Herr Lehrer“ nahm denn auch den großen Ball und führte so die 
kleine Schar in die schwierigen Geheimnisse der Erdkunde ein. M 
aber der beurlaubte Lehrer nach einigen Tagen zurückkehrte strahlte 
ihm beim Eintritin die Klasse ein funkelnagelneuer Globus entgegen, 
ein Geschenk dessen, der ihn vertreten hatte, während er zum Sierbe— 
bette seiner Mutter eilte. Wolter. 
I. Der Kronprinz als Vater. 
Der Kaiser Friedrich war ein großer Kriegsheld, das hat er als 
Kronprinz auf den Schlachtfeldern in Böhmen und Frankreich bewiesen. 
Aber er war auch ein zärtlicher Valern Ga manchmal hat er in 
Friedenszeiten mit seiner Gattin an de Wiege seiner Kinder gesessen 
und ihnen Schlummerlieder gesungen. Auch hielt er sie in frenger 
Zucht. Eines Morgens, als Friedrich noch Kronprinz war, wollte 
sich ein kleiner Prinz von der Kammerfrau nicht waschen lassen. Er
	        
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