Full text: [Teil 2 = Quinta, [Schülerband]] (Teil 2 = Quinta, [Schülerband])

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andern großen Wandervögel, und im Gehölz um uns her lassen Drosseln 
ihr einsames „Zieht", die Meisen und Goldhähnchen ihr Wispern und 
die Rotkehlchen ihren schwermütigen Lockruf hören. 
Da belebt sich plötzlich rings um uns her das Gebüsch. Strich¬ 
vögel sind's, denen der Herbst gehört, und zwar allerliebste kleine 
Zeisige, welche in den Erlenzweigen sich wiegen, einander neckend und 
schäkernd, immer geschäftig und emsig, von Hain zu Hain, von Wald¬ 
saum zu Waldsaum streichen. Dicht vor uns setzt sich einer auf einen 
schwankenden Zweig. Es ist ein reizendes, schön grünes, gelb und 
schwarz gezeichnetes Zeisig-Hähnchen, welches uns mit seinem kurzen Ge¬ 
sänge in größter Nähe begrüßt. Nicht minder bekannt und beliebt als 
alle seine vorhin erwähnten Verwandten, gebührt ihm zweifellos das Recht, 
als der Vogel unseres deutschen Herbstes zu gelten. Und wenn man 
auch wohl im Spätherbste noch anderweitig jubelnden Gesang belauschen 
kann, die Haubenlerche auf dem Giebel des Bauernhauses, den kecken 
Zaunkönig von der Wetterfahne herab, so drängt diese unser drolliger 
Zeisig dennoch in den Schatten, weil er eben längst Allerwelts-Liebling ist. 
Tiefer Schnee deckt die Fluren, scharfer Nordost jagt uns Schnee¬ 
krystalle ins Gesicht, welche gleich feurigen Nadeln auf der Haut brennen. 
Alles Leben in der Natur scheint erstorben oder von dannen geflüchtet, 
kein Laut ist weithin zu hören, keine Bewegung zu sehen. Endlich 
haben wir eine Waldecke erreicht, hinter der wir Schutz finden vor des 
Wetters Unbilden. Während wir hier erleichtert aufatmen, bietet sich 
unsern Blicken plötzlich ein überraschendes Bild. 
Auf den Kiefernzweigen, von deren dunklem Grün der weiße, in 
den Sonnenstrahlen erglänzende Schnee gar schön sich abhebt, wiegen 
sich seltsame Vögel. Es sind Kreuzschnäbel, jene Zigeuner der Vogel¬ 
welt, welche überall dort einkehren, wo es reichlichen Nadelholzsamen 
giebt, und sich dann heimisch fühlen und häuslich einrichten, gleichviel 
zu welcher Jahreszeit es auch sein möge. Wenn wir recht aufmerksam 
uns hier umschauen, so finden wir vielleicht ein Nest mit Jungen oder 
Eiern, auf denen das Weibchen brütet, trotz des Wetters Graus und 
Ungemach. Wenn uns dies aber in der That fast als ein Wunder der 
Natur erscheinen muß, so werden wir gewiß nicht zaudern, den Kreuz¬ 
schnabel als den Vogel des deutschen Winters anzusehen. 
II. 
Der deutsche Edelfink, auch Buchfink, Garten-, Wald-, Rotfink 
genannt, ist allbekannt. Er ist bei uns mehr Zugvogel als Standvogel; 
denn die Zahl derer, welche den Winter über bei uns bleiben, und 
welche fast sämtlich Männchen sind, ist nicht groß. Bereits gegen das 
Ende des Februar hin kehren viele Finkenmännchen aus der Winter¬ 
herberge zurück; die meisten kommen aber im März an und einige sogar
	        
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