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hatten, und wurden einig, dass es künftig nicht wieder ge¬
schehen sollte. Hinfort diente wieder ein Glied dem andern,
und alle wurden wieder gesund und stark, wie sie vorher ge¬
wesen waren.
Eintracht bringt Macht. Campe.
70. Der Wolf auf dem Todbette.
Der Wolf lag in den letzten Zügen und schickte einen
prüfenden Blick auf sein vergangenes Leben zurück. „Ich bin
freilich ein Sünder, sagte er; aber doch, hoffe ich, keiner von
den grössten. Ich habe Böses gethan, aber auch viel Gutes.
Einsmals, erinnere ich mich, kam mir ein blökendes Lamm,
welches sich von der Herde verirrt hatte, so nahe, dass ich es
gar leicht hätte würgen können, und ich that ihm nichts. Zu
eben dieser Zeit hörte ich die Spöttereien und Schmähungen
eines Schafes mit der bewundernswürdigsten Gleichgiltigkeit an,
ob ich schon keine schützenden Hunde zu fürchten hatte."
„Und das alles kann ich dir bezeugen, fiel ihm Freund
Fuchs, der ihn zum Tode bereiten half, ins Wort; denn ich er¬
innere mich noch gar wohl aller Umstände dabei. Es war zu
eben jener Zeit, als du an dem Beine so jämmerlich würgtest,
das dir der gutherzige Kranich hernach aus dem Schlunde zog."
Leasing.
71. Der Hirsch am Bache.
Ein Hirsch trank aus einem Teiche und erblickte in dem¬
selben sein Bild. „Fürwahr, rief er, die Natur meinte es nicht
böse mit mir, wenigstens mit meinem Kopfe nicht. Wie prächtig
ist das Geweih, das ihn schmückt! Nur meine Schenkel sollten
etwas besser sein; ich würde dann an Vortrefflichkeit der Gestalt
allen Tieren Trotz bieten." Indem er noch so sprach, hörte er
in der Ferne Jagdhörner ertönen und sah die Hunde schon, die
mit Gebell auf ihn zueilten Er flog über die Felder hinweg und
liess seine Verfolger weit hinter sich. Jetzt kam er in den
Wald. Aber indem er hier sich ins Dickicht retten wollte, blieb
er mit dem Geweih in den Asten eines Baumes hängen; die
Hunde kamen herbei und rissen ihn nieder. „Ach, seufzte er,
indem er verschied, ich Unglücklicher habe thörichterweise
meine Freunde für Feinde, und meinen Feind für einen Freund