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unterricht ausgesetzt. Feurig erhebt sich der Sonnenball am Himmel,
und nun zieht mit einem „Gott helf'!" die rüstige Schar hinaus auf
das Feld. Schon vor einigen Tagen haben die Schnitter die Halme
mit den fruchtschioeren Ähren abgemäht, in Garben gebunden und
diese in kleine, zeltähnliche Hausen zusammengestellt, Sonne und Wind
haben sie dann getrocknet; heute sollen sie in die Scheunen gefahren
werden. Hei, wie werfen die Knechte mit starken Armen die Garben
auf den Wagen! Auf demselben steht ein älterer Knecht, der mit geübtem
Auge die Garben ordnet, daß sie gleichmäßig liegen und schließlich wie
mit einem wohlgefügten Dach den Wagen hoch überragen. Das muß
so sein; denn der Wagen leidet, wenn er über das Feld fährt, harte
Stöße und gerät manchmal in Schwanken. Wie würden da die Garben
heruntersausen, wenn sie nicht fein geordnet wären! Neben den
Knechten gehen die Mägde einher, mit flinken Rechen die Halme zu¬
sammenzufegen, die lose daliegen. Aber nicht zu genau nimmt es der
Herr des Ackers mit dem Zusammenrechen der Halme; was liegen
bleibt, ist zur Ährenlese für die Armen.
Nun ist der Wagen beladen, die Pferde ziehen an; mit lautem
Zuruf und munterm Peitschenknall treibt sie der Knecht. Der Wagen
bewegt sich, und wuchtig schwankt er daher auf die Straße, der Scheune
zu. So geht es mehrere Stunden lang. Dann machen die Leute eine
Pause. Im Kreise setzen sie sich zur Erde; Krüge, mit kaltem Kaffee
oder mit leichtem Bier gefüllt, machen die Runde, und derbe Brot¬
schnitten werden mit frohem Sinn verzehrt; manch Scherzwort und
manche Neckerei gehen hin und her; aber nicht lange dauert die Zcil
der Ruhe. Nach einer Viertelstunde geht es wieder an die Arbeit bis
zum Mittage. Dann findet sich wieder alles zusammen an dem Tische
des Hausherrn. Nach der Mittagsruhe beginnt von neuem das uner¬
müdliche Schaffen, bis die Dämmerung hereinbrechen will. Da werden
die Pferde wieder in die Ställe gebracht; in den Krippen liegt mehliger
Hafer, aus den Raufen hängt duftiges Heu, den wackern Rossen zum
willkommenen Futter.
Auch die Menschen haben sich an kräftiger Abendkost gestärkt, und
nun sitzen die Knechte bei ihrem Herrn draußen vor der Tür auf Stein¬
bänken und Baumstämmen. Lustig dampft das Pfeifchen, und froh
sind Herz und Mund. Ein heiteres oder auch ein schwermütiges Volks¬
lied stimmt einer an, und bald singen alle mit, oder ein anderer erzählt
von seinen Erlebnissen, wie er Soldat gewesen, und was er da erfahren
hat, oder ein dritter berichtet, was er weiß vom alten Sagen und Ge¬
schichten; denn manch schöne Überlieferung lebt noch bei unserm Land¬
volke. Alle horchen aufmerksam zu und -betrachten den Erzähler mit
gespannten Blicken. Inzwischen sitzen die Mägde drinnen bei der Haus¬
krau und stricken und flicken und nähen und stopfen, und auch bei