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Truchseß. Als der Wieland kommen sah, ritt er an ihn heran und
fragte ihn, ob er den Siegstein mit sich bringe. Wieland bejahte es.
Da sprach der Truchseß: „Gieb mir den Siegstein, ich will ihn dem
Könige bringen. Dir aber will ich dafür Gold und Silber geben, so
viel du verlangst."
Wieland erwiderte jedoch: „Du hättest ebensowohl wie ich die Reise
unternehmen können. Jetzt aber den Stein, auf dessen Herbeischaffung
ein so großer Preis gesetzt ist, von mir zu verlangen, das dünkt mich
wenig ehrenvoll." Da rief der Truchseß: „O du Thor, der du glaubst, der
König werde dir seine Tochter zur Gemahlin geben, da du nur ein arm¬
seliger Schmied bist. Willst du mein Gold nicht haben, so sollst du
haben, was dir weniger gefallen wird. Auf, ihr Mannen, zieht eure
Schwerter. Er soll mit dem Siegsteine zugleich das Leben verlieren."
Wieland aber fürchtete sich nicht; er zog seinen guten Mimung aus
der Scheide und schlug damit den Truchseß auf den Helm, daß das
Schwert das Haupt und den Oberkörper durchschnitt. Als das die andern
sechs sahen, flohen sie eilig von dannen.
Nun ging Wieland in das Zelt des Königs, der sehr froh ward,
als er den Siegstein in Wielands Händen erblickte. Wieland erzählte, wie
es ihm auf seiner Fahrt gegangen war, und verschwieg auch nicht, daß er
vor dem Lager den Truchseß erschlagen habe. Als der König das hörte,
ward er zornig und sprach: „Meinen besten und liebsten Dienstmann hast
du mir erschlagen, darum kann ich dir nie mehr hold sein. Hebe dich
weg von mir und komme mir nicht wieder unter die Augen. Willst du
dich aber länger verweilen, so lasse ich dich an einen Baum knüpfen wie
einen Dieb."
Da ging Wieland fort. Zu sich selber aber sprach er: „Solche An¬
klage erhebt der König gegen mich nur, weil er mir sein Wort nicht
halten mag."
Noch an demselben Tage fand die Schlacht statt. König Nidung
siegte und kehrte dann mit großen Ehren heim. Wohin aber Wieland ge¬
kommen war, das wußte niemand zu sagen.
Wieland sann auf Rache, und um dieselbe besser ins Werk setzen zu
können, beschloß er sich unkenntlich zu machen und an den Hof des
Königs zurückzukehren. Als er dahin kam, ward er in dem Kochhause auf¬
genommen und bereitete nun die Speisen für des Königs Tisch mit zu.
Es dauerte aber nicht lange, so ward er doch erkannt und vor den König
geführt.
Dieser sprach zu ihm: „Um deiner Geschicklichkeit willen sollst du
dein Leben nicht verlieren, aber Strafe mußt du empfangen." Darauf
ließ er ihm die Sehnen an den Fußgelenken und an den Kniekehlen