Full text: [Teil 1 = Sexta, [Schülerband]] (Teil 1 = Sexta, [Schülerband])

84 
Truchseß. Als der Wieland kommen sah, ritt er an ihn heran und 
fragte ihn, ob er den Siegstein mit sich bringe. Wieland bejahte es. 
Da sprach der Truchseß: „Gieb mir den Siegstein, ich will ihn dem 
Könige bringen. Dir aber will ich dafür Gold und Silber geben, so 
viel du verlangst." 
Wieland erwiderte jedoch: „Du hättest ebensowohl wie ich die Reise 
unternehmen können. Jetzt aber den Stein, auf dessen Herbeischaffung 
ein so großer Preis gesetzt ist, von mir zu verlangen, das dünkt mich 
wenig ehrenvoll." Da rief der Truchseß: „O du Thor, der du glaubst, der 
König werde dir seine Tochter zur Gemahlin geben, da du nur ein arm¬ 
seliger Schmied bist. Willst du mein Gold nicht haben, so sollst du 
haben, was dir weniger gefallen wird. Auf, ihr Mannen, zieht eure 
Schwerter. Er soll mit dem Siegsteine zugleich das Leben verlieren." 
Wieland aber fürchtete sich nicht; er zog seinen guten Mimung aus 
der Scheide und schlug damit den Truchseß auf den Helm, daß das 
Schwert das Haupt und den Oberkörper durchschnitt. Als das die andern 
sechs sahen, flohen sie eilig von dannen. 
Nun ging Wieland in das Zelt des Königs, der sehr froh ward, 
als er den Siegstein in Wielands Händen erblickte. Wieland erzählte, wie 
es ihm auf seiner Fahrt gegangen war, und verschwieg auch nicht, daß er 
vor dem Lager den Truchseß erschlagen habe. Als der König das hörte, 
ward er zornig und sprach: „Meinen besten und liebsten Dienstmann hast 
du mir erschlagen, darum kann ich dir nie mehr hold sein. Hebe dich 
weg von mir und komme mir nicht wieder unter die Augen. Willst du 
dich aber länger verweilen, so lasse ich dich an einen Baum knüpfen wie 
einen Dieb." 
Da ging Wieland fort. Zu sich selber aber sprach er: „Solche An¬ 
klage erhebt der König gegen mich nur, weil er mir sein Wort nicht 
halten mag." 
Noch an demselben Tage fand die Schlacht statt. König Nidung 
siegte und kehrte dann mit großen Ehren heim. Wohin aber Wieland ge¬ 
kommen war, das wußte niemand zu sagen. 
Wieland sann auf Rache, und um dieselbe besser ins Werk setzen zu 
können, beschloß er sich unkenntlich zu machen und an den Hof des 
Königs zurückzukehren. Als er dahin kam, ward er in dem Kochhause auf¬ 
genommen und bereitete nun die Speisen für des Königs Tisch mit zu. 
Es dauerte aber nicht lange, so ward er doch erkannt und vor den König 
geführt. 
Dieser sprach zu ihm: „Um deiner Geschicklichkeit willen sollst du 
dein Leben nicht verlieren, aber Strafe mußt du empfangen." Darauf 
ließ er ihm die Sehnen an den Fußgelenken und an den Kniekehlen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.