Full text: [Teil 1 = Sexta, [Schülerband]] (Teil 1 = Sexta, [Schülerband])

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9. Der Hund im Wasser. 
Es lief ein Hund durch einen Wasserstrom und hatte ein Stück Fleisch 
im Maule. Als er aber den Schemen vom Fleische im Wasser sieht, wähnt 
er, es wäre auch Fleisch, und schnappte gierig danach. Da er aber das 
Maul aufthat, entfiel ihm das Stück Fleisch, und das Wasser führte es 
weg. Also verlor er beides, das Fleisch und den Schemen. 
Man soll sich begnügen lassen an dem, was Gott giebt. Wer das 
Wenige verschmäht, dem wird das Größere nicht; wer zu viel haben will, 
der behält zuletzt nichts; mancher verliert das Gewisse über dem Ungewissen. 
Luther. 
10. Der Hirtenhund. 
Ein alter Hirtenhund, der seines Herrn Vieh treulich bewachte, geht 
abends heim. Da kläffen ihn die Polsterhündlein auf der Gasse an. Er 
trabt vor sich hin und sieht sich nicht um. Als er vor die Fleischbank 
kommt, fragt ihn ein Fleischerhund, wie er das Gebell leiden könne, und 
warum er nicht einen beim Kamm nehme. „Nein," sagte der Hirtenhund, 
„es zwackt und beißt mich ja keiner; ich muß meine Zähne für die Wölfe 
haben." Luther. 
11. Wolf und Lämmlein. 
Ein Wolf und ein Lämmlein kamen von ungefähr beide an einen 
Bach zu trinken; der Wolf trank oben am Bache, das Lämmlein aber fern 
unten. Da der Wolf des Lämmleins gewahr ward, lief er zu ihm und 
sprach: „Warum trübest du mir das Wasser, daß ich nicht trinken kann?" 
Das Lämmlein antwortete: „Wie kann ich dir das Wasser trüben? trinkest 
du doch über mir und möchtest es mir wohl trüben." Der Wolf sprach: 
„Wie? fluchst du mir noch dazu?" Das Lämmlein antwortete: „Ich fluche 
dir nicht." Der Wolf sprach: „Ja, dein Vater that mir vor sechs Monden 
auch ein solches." Das Lämmlein antwortete: „Bin ich doch dazumal nicht 
geboren gewesen; wie soll ich meines Vaters Schuld entgelten?" Der Wolf 
sprach: „So hast du mir aber meine Wiesen und Äcker abgenagt und ver¬ 
derbt." Das Lämmlein antwortete: „Wie ist das möglich? habe ich doch 
noch keine Zähne." „Ei," sprach der Wolf, „und wenn du gleich viel aus¬ 
reden und schwätzen kannst, will ich dennoch heute nicht ohne guten Fraß 
bleiben," und würgte also das unschuldige Lämmlein und fraß es. 
Luther.
	        
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