30. Ludwig
1. Herr Ludwig lag gefangen;
Die Ketten drückten schwer,
Der Schlaf war ihm vergangen,
Er aß und trank nicht mehr.
2. „Ihr Wächter, habt Erbarmen
Und führt aus dumpfer Gruft
Zum letzten Mal mich Armen
In Gottes freie Lust!"
3. Und feine Ketten sinken,
Die Eisenpforte kracht,
Er sieht die Sonne blinken
Und steut sich ihrer Pracht.
4. Er hört die Saale rauschen
Tief unterm Giebichenstein
Und beugt sich vor, zu lauschen,
Und späht ins Land hinein.
der Springer.
5. Und plötzlich welch ein Wandel!
Sein Auge funkelt wild.
Er steht im falt'gen Mantel,
Ein trotzig Heldenbild.
6. Er breitet die Gewände
Weit mit den Armen aus
Und springt vom Felsenrande
Kühn in die Luft hinaus.
7. Hui! wie auf dunkeln Flügeln
Der Aar hinunterschoß,
Wo drunten in den Zügeln
Sich bäumt ein weißes Roß!
8. Schon spritzt in hohen Bogen
Die Saale schäumend auf;
Der Held ringt mit den Wogen
Und klimmt den Strand hinauf.
9. Dann droht er nach dem Zwinger
Und reitet durch den Hag,
Und heißt Ludwig der Springer
Bis auf den heut'gen Tag. Sturm.
31. Das starke Schloß.
1171.
1. „Herr Landgraf, Euer Schloß
ist Hehr,
Man möcht' Euch drum beneiden;
Nur etwas dran vermiß ich sehr,
Daß es Mauern nicht umkleiden."
2. Der Kaiser sprach's zum Fürsten
wert,
Der lachte stolz dagegen:
„Herr, eh der Morgen wiederkehrt,
Sollen Mauern Euch umhegen."
3. Und Boten reiten ohne Rast
Zu Grafen und zu Mannen.
Noch lag in Ruh der hohe Gast,
Als sie rings zu nahn begannen.
4. Und dichter stets der Kreis sich
dehnt
Von Schwertern und von Schilden,
Die Helme scheinen, goldgekrönt,
Eine Mauerzinn' zu bilden.