Full text: [Teil 5 = Kl. 5, [Schülerband]] (Teil 5 = Kl. 5, [Schülerband])

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du denn auch,“ fragte Sokrates weiter, „wo die Menschen zur Tugend 
herangebildet werden?“ Xenophon stutzte und vermochte die Frage nicht 
zu beantworten. „Folge mir, und du wirst es lernen!“ entgegnete 
Sokrates, und Xenophon wurde einer seiner besten Schüler. Auch ihm 
hat der edle Mann in einer Schlacht das Leben gerettet. 
Sokrates suchte in der Zeit der einreißenden Sittenverderbnis seine 
Schüler vor allem zur Mäßigkeit und Einfachheit in allen Bedürfnissen 
des Lebens zurückzuführen. Wer zum Glücke gelangen will, lehrte er, 
muß sich zunächst bemühen, weise und gut zu werden. Mäßigkeit, Gerechtigkeit 
und Starkmut sind die Grundlage des Guten. Nichts Irdisches bedürfen 
ist göttlich, am wenigsten bedürfen nähert uns der Gottheit am meisten. 
Ein vornehmer Athener klagte ihm einst, daß das Leben in Athen so 
teuer sei. Sokrates führte ihn zu einem Laden, wo man Mehl und Oliven 
verkaufte, und in einen andern, wo billige Kleidung zu haben war. 
„Siehe,“ sagte er, „ich finde es überaus wohlfeil in Athen.“ Ein anderer, 
der eine Fußwanderung gemacht hatte, beklagte sich über die Beschwerden 
seiner Reise. „Konnte dir dein Sklave folgen?“ fragte ihn Sokrates. 
„O gewiß, er trug noch obendrein ein großes Bündel.“ „Dann ist er 
ja wohl recht müde geworden?“ „Durchaus nicht, ich habe ihn sogleich mit 
einem neuen Auftrage wieder fortschicken können.“ „Wer ist denn nun 
der glücklichere von euch beiden?“ fragte Sokrates. „Du bist reich und 
frei, vermagst aber geringe Mühseligkeit nicht zu ertragen; er ist arm und 
ein Sklave, aber gesund und stark. Sieh selber, was besser sei!“ — Diese 
Ansichten von einem bis auf die nötigsten Bedürfnisse beschränkten Leben 
fanden allerdings wenig Beifall bei seiner Gattin Xanthippe. Sie war 
zanksüchtigen Sinnes, und erzürnt darüber, daß er so wenig auf Gewinn 
sehe, schalt sie ihn bisweilen tüchtig aus. Nachdem er einst ihre Vorwürfe 
eine Zeitlang geduldig angehört hatte, stand er auf und entfernte sich. 
Da ergriff sie ein Gefäß und goß ihm das darin enthaltene Wasser durch 
das Fenster nach. „Ich wußte wohl,“ sagte er lächelnd, „daß auf das 
Donnerwetter der Regen folgen werde.“ 
Dem Geiste des weisen Mannes konnte es nicht entgehen, daß das 
Religionswesen der Griechen an vielerlei Mängeln leide, und daß die 
Götterlehre in das Reich der Fabeln gehöre. Er leugnete die Götter 
freilich nicht, aber er hielt sie für untergeordnete Wesen, die nur ein 
weniges über den Menschen erhaben seien. Dagegen war er der festen 
Überzeugung, daß es ein unendlich weises, mächtiges und gerechtes Wesen 
gebe, welches die sterblichen Menschen und alle jene fabelhaften Götter 
hoch überrage. Er glaubte auch, daß dem Menschen eine unsterbliche 
Seele gegeben sei, die dereinst zu Gott zurückkehre, von welchem sie aus— 
gehe. — Mit freudiger Verwunderung vernahmen seine Schüler diese er— 
habenen Lehren, und es konnte nicht fehlen, daß die Weisheit des großen 
Mannes von den besten und edelsten Männern seiner Zeit anerkannt und
	        
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