Full text: Für die Klasse V (Teil 2 = Unterstufe, [Schülerband])

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Beschreibungen und »Schilderungen. 
Stromflut ist belebt und durchwimmelt von Milliarden Kiesel- oder 
kalkpanzeriger, mikroskopischer Tierchen. Die einen können nur in 
diesem, die anderen nur in jenem Wasser leben. Jetzt tritt beides 
zusammen, das eine wird süsser, das andere salziger, die Lebens¬ 
bedingungen der Tierchen sind aufgehoben, das Sterben beginnt. 
Während ihre Kiesel- und Kalkpanzer die Lagerbänke erhöhen, düngen 
ihre gallertartigen Leiber den Boden. Die Marschen der oberen, von 
der Flut nicht erreichten Gegenden sind mithin nur aus gröberen 
Sand- und Thonmassen entstanden, daher von ungleich geringerer 
Fruchtbarkeit und Güte als die an der Mündung, deren reicher Ge¬ 
halt an tierischen Stoffen sie fähig macht, den üppigsten Pflanzen¬ 
wuchs hervorzubringen. 
Indes ist anzunehmen, dass auch jenes fortwährende Sterben 
und Faulen zahlloser Tierleiber als die Hauptursache der giftigen Aus¬ 
dünstungen und der dadurch entstehenden hartnäckigen Marschfieber 
anzusehen ist. 
Durch fortwährende Anhäufung seines Schlammes vor der Mündung 
aber verengt ein Strom sich nach und nach selbst seinen Ausgang 
und muss sich endlich in Arme spalten, um nur hinauszukommen. 
So entstehen Deltabildungen, wie sie der Nil, Ganges, Mississippi, wie die 
Wolga, Weichsel, Donau und der Rhein sie darbieten. Auch die Weser 
hatte einst Deltaländer, und erst seitdem ihre in die Jade fliessenden 
Nebenarme im 15. und 16. Jahrhundert eingedämmt wurden, strömt 
sie durch einen einzigen Ausweg in die Nordsee. Die übrigen deutschen 
Ströme haben meist kein Delta gebildet, sondern an ihren Ufern die 
Marschen abgesetzt. Ihre letzten Schlamm- und Sandlager, die Watten, 
sind übrigens nicht mächtig genug, um sich aus den Fluten zu er¬ 
heben und trockenes Land zu bilden. 
Es sind indes nicht allein Kräfte und Verhältnisse der bewusst¬ 
losen Natur, welche Land schaffen; auch der Mensch greift mit starkem 
Arme in die Flut und zwingt sie, ihm ihren Tribut zu geben. Fl¬ 
iegt Schiengen, Stackwerke und Deiche an, er entreisst ihr, was sie 
entführen will, er gebietet ihr, nach seinem Willen hierhin oder dort¬ 
hin zu strömen, und ruft ihr oft ein kräftiges „Halt" entgegen. 
Niemand kann daher seinen Heimatsboden mit so stolzem Selbst¬ 
gefühl besitzen wie der Marschbewohner, der ihn zum Teil geschaffen 
und mühevoll errungen hat, der ihn jahraus jahrein mit ungeheurer 
Kraft und Ausdauer behaupten und verteidigen muss gegen die wilden, 
ewig nagenden, ewig wühlenden und spülenden Fluten. Aber dieses 
ewige Ringen und Kämpfen hat ihn gestählt und geweckt, wie es 
ihn erfüllt hat mit Mut und Ausdauer, Freiheitsliebe, Selbständigkeit 
und innigem Heimatsgefühle.
	        
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