Full text: Für die Klasse V (Teil 2 = Unterstufe, [Schülerband])

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Erzählungen. 
33. Geschichten vom Kaiser Iriedrich als Kronprinzen. 
1. Wie Fritz Soldat wurde. 
L. Marquardt, Kaiser Wilhelm. 
A. 
Es war im Neuen Palais bei Potsdam am 22. Mürz 1839, also 
an einem Geburtstage des nachmaligen Kaisers Wilhelm 1. Bald nach 
dem Aufstehen begab sich Prinz Wilhelm, wie er damals noch kurzweg 
hieß, in das Frühstückszimmer, um wie alltäglich mit Gemahlin unb 
„Fritz" das erste Frühstück einzunehmen. Dieses Mal war auch der 
Amme befohlen, sich mit der erst am 3. Dezember 1838 geborenen 
Prinzessin Luise auf dem Arme vor dem Erscheinen des hohen Herrn 
im Frühstückszimmer einzufinden. Die Thür öffnete sich, der Prinz trat 
ein, ein schneller Überblick über die frischen Blumen, Kränze und Guir¬ 
landen, das Entgegentreten der Prinzessin Augusta mit Glückwunsch und 
Umarmung, der freundliche Blick aus dem Auge des ihm entgegen¬ 
getragenen Töchterchens, alles das verbreitete sichtbar Entzücken über 
das Antlitz des Prinzen Wilhelm, der an diesem Tage sein zweiund¬ 
vierzigstes Jahr vollendete. „Aber wo ist Fritz?" fragte er sehr bald 
unb mit einiger Verwunderung. In demselben Augenblicke öffnete sich 
die Flügelthür. Herein trat ein achtjähriger Rekrut in der Uniform 
des Stettiner Garde-Landwehr-Regiments mit dem Landwehr-Tschako 
aus dem Kopfe, das Lederzeug umgehängt, mit dem neuen Gewehre, 
das ihm erst vor kurzem der Großvater Friedrich Wilhelm III. geschenkt 
hatte. In untadelhaftem, strammstem Paradeschritte und mit angefaßtem 
Gewehre schritt er ans den hohen Vorgesetzten zu, machte drei Schritte 
vor ihm Halt und meldete so sicher, wie es nur ein erwachsener Rekrut 
hätte ausführen können: 
„Rapport von der Potsdamer Thorwache. Aus Wache und Posten 
nichts Neues. Sie ist stark: ein Unteroffizier, ein Spielmann und acht¬ 
zehn Grenadiere." Das Herz des Vaters wallte beim Anblicke des 
hübschen unb kräftigen Jungen vor Freude auf; er zog ihn in die Höhe, 
um ihn zu küssen, was aber dem diensteifrigen Rekruten doch gar zu 
unmilitärisch vorkam. Er strampelte gewaltig mit beit Füßen, machte 
sich bald wieder los, und sobald er wieder festen Boden unter sich fühlte, 
fiel er in die stramme militärische Haltung zurück, machte regelrecht 
kehrt, und mit angefaßtem Gewehr marschierte er in demselben Parade¬ 
schritt, in dem er gekommen war, wieder ans die Thür zu. Es war die 
Mutter, Prinzessin Augusta, die dem erlauchten Gemahle die Über¬ 
raschung zu seinem Geburtstage bereitet hatte. Sie hatte vorher durch 
den Unteroffizier Bludau vom 2. Garde-Regiment, den ersten Waffen-
	        
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