Full text: (Für Quinta) (Abth. 2, [Schülerband])

Lauckhardt: Das Kamel. Tschudi: Die Gemse. 
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nicht durch die Peitsche, sondern mit der Pfeife oder durch den Gesang 
des Treibers gelenkt. Musik liebt es außerordentlich, vorzüglich den 
Gesang der menschlichen Stimme. 
Das Kamel ist der geborne Sklave des Nomaden, sein Reichthum 
von Abrahams Zeiten her bis auf den heutigen Tag. Eine Mißgestalt 
ist es ohne Schmuck, ohne Anmuth, halb Schaf, halb Pferd, mit gespaltener 
Lippe, mit kleinen aufgestellten Ohren, mit langem, eingebogenem Halse. 
Demüthig und geduldig beugt es die Kniee vor seinem Tyrannen, damit er 
es bequem belade; auf seinen Wink erhebt es sich wieder und folgt ihm. 
Die Milch des Kamels dient als Getränk oder zur Käsebereitung, seine 
Haare liefern Decken oder Filz für die Zelte, sein Dünger in baumlosen 
Steppen Brennstoff zum Kochen und zu nächtlichen Wachtfeuern. In der 
Dürre der Wüste wittert es den unter dem Sande verbogenen Quell und 
verschafft so ganzen Karawanen willkommene Erquickung. Ja, bei dem 
äußersten Wassermangel leidet es den Tod für seinen Herrn und tränkt 
den Verschmachtenden mit dem Waffer seines Magens und mit seinem 
Blute, nährt ihn mit seinem Fleische. Das Leben der Beduinen ist einzig 
und allein an das Dasein dieses Thieres geknüpft. 
94. Die Gemse. 
Von Friedrich von Tschudi. Das Thierleben der Alpenwelt. Leipzig, 1854. 
Die Gemsen, die einzige Antilopenart Europas, sind es vor allen 
anderen Thieren, die unserem Hochgebirge einen hohen Reiz verleihen; jene 
schönen, flüchtigen Felsenziegen, die in kleinen Herden durch die einsamsten 
Gegenden der Alpen streifen, die höchsten Bergkämme reizend beleben und 
in sausenden Jagden über stundenlange Eisfelder hinfliegen. Traulich und 
friedlich zum eigenen geselligen Leben und harmlos gegen alle Geschöpfe, 
würden sie sich den Herden des Alpenviehes zugesellen und könnten ge¬ 
zähmt werden, wenn nicht das stets feindliche Auftreten des Menschen 
ihnen eine fast unüberwindliche Scheu gegen ihn eingeflößt hätte. 
Die Gemse ist bekanntlich der Ziege sehr ähnlich, besonders der Alpen¬ 
ziege, unterscheidet sich aber von ihr durch die pechschwarzen, hakenförmig 
gekrümmten Hörnchen, die längeren, plumperen Beine, den gestreckteren 
Hals und den kürzeren, gedrängteren Körperbau. Dieser ist im Ganzen 
elastisch, besonders der Hals dehnbar. Auf allen Vieren stehend, kann sie 
sich so in die Höhe recken, daß sie sechs Fuß hoch reicht, wohei ihre Schwere 
fast ganz auf den Hinterfüßen ruht. Der Kinnbart fehlt ihr stets ebensowohl 
als dem Steinbocke. Im Frühlinge ist die Gemse am lichtesten gefärbt, hell-, 
fast weißlichgrau, im Sommer wird sie rehfarben-röthlichbraun, im Herbste 
dunkelt sie allmählich ab, bis sie im Dezember schwärzlichbraungrau, nicht 
selten sogar kohlschwarz wird. Mit der Färbung wechselt sie die Haare 
nicht jedesmal, und wahrscheinlich bestimmt die Verschiedenheit der Nah¬ 
rung, verbunden mit den Einflüssen der Luft und mit der Wirkung des 
Lichtes, einzig die Farbenänderung. Von jedem der beiden großen, schwarzen, 
stark convexen, höchst ausdrucksvollen Augen läuft ein dunkelbrauner, breiter 
Strich nach der Schnauze. Im Winter wird der Pelz äußerst dicht, die 
oberen groben und brüchigen Haare werden bei älteren Thieren an zwei
	        
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