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Aus Heimat und Fremde.
70. Die Lüneburger Heide.
Die Grenze der eigentlichen Heide gegen das Kulturland ist an
einigen Stellen sehr scharf gezogen, an den meisten aber verliert ft*
sich allmählich. Man gewahrt da, wie die Wiesen magerer werden,
der Boden sandig gehagelt, wie die Dörfer weit zerstreut liegen und
von dürftigem Acker umgeben sind, wie die Kiefer auftritt und mit
Birken gemischt den Übergang zur Heide verkündigt. Endlich wird von
menschlichem Anbau, von menschlicher Nähe nichts mehr sichtbar; nM
der Sand herrscht vor, aber nicht in kahlen Flächen und Hügeln, die
der Wind verändert, sondern auch an den Stellen der größten Trockenheit
entwickelt sich Pflanzenwuchs, und überall auf dem Sandboden wuchert
das Heidekraut. Allerdings hindert nur allzuhäufig eine vorzugsweise
aus Quarzsand bestehende Bodenschicht jegliches Gedeihen eines Baum-'
Wuchses.
Bist du vollständig in der Heide, so wanderst du öfters stundenlang
in grauer, eintöniger Gegend, über langgestreckte, baumlose Flächen,
über niedrige, wellenförmige Hügel. Heide an Heide siehst du, in trockenen
Sommern dürr und heiß wie der Sand, auf dem sie wächst, so daß
dir die Fußsohlen brennen. Drückende Schwüle umgibt dich. Du sehnst
dich nach einem murmelnden Bach, einem kühlen Trunk und frischem
Rasen in dieser Dürre; aber der Boden zeigt dir am Rande einer
Sandblöße, zu der du soeben gelangst, nur Rinnsale einer versiegten
Lache. Da lockt weiter unten in der öden Landschaft ein, wie es scheint,
angenehmeres Bild: saftig grüne Flächen und hinter ihnen leichte Wasser¬
streifen. Aber welche Täuschung! Sobald du näher kommst, findest du
statt des frischen Rasens und klaren Quellwassers nur hartes Riedgras,
dürre Binsen und niedrige Zwergweiden: du stehst an einem Moor, das
mit diesen Pflanzen und mit Sumpfheide und Moosen bedeckt ist. Tiefer
hinein zeigen sich ebene, fühlschimmernde Strecken, aber sie enthalten
nicht festes Land; es sind Schlamminseln von großer Tiefe, durch die nur
wenige gefahrlose Furten leiten. „Vebemoor" nennt sie passend der
Heidebauer, denn bei jedem Tritte des Fußes zittert weithin die Fläche.
Du eilst hinweg und steigst wieder höher; siehe da, ein anderer
Gegenstand, ein anderer Eindruck! Wenn du dort des Abends im Be¬
reiche der Unholde und Niren zu sein glaubtest, die einen gefährlichen
Reigen um den Wanderer zu schlingen drohen, so fühlst du hier den
Hauch der Romantik um die wacholderbewachsenen Grabhügel ver-