Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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22. Rettung aus Sturmflut. 
gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den andern wieder fort, ver¬ 
zehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit 
ein Stück Limburger Käse; und wenn es ihm wieder einmal schwer 
fallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seien und er so 
arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an 
sein großes Haus, an sein reiches Schiff und an sein enges Grab. 
Johan Peter Hebel. 
22. Rettung aus Sturmflut. 
Wer am Meere wohnt, namentlich am flachen Strande, hat oft 
Schreckliches zu erleben, denn auch die festesten Dämme durchbricht 
das Meer wie eine Glasscheibe, und zu dem Allerschrecklichsten ge¬ 
hören die Sturmfluten, welche entstehen, wenn ein heftiger Sturm 
aus der Himmelsgegend die Wogen peitscht und treibt, aus welcher 
die regelmässige Flut dem Lande zudrängt. Dann bäumen sich die 
schäumenden Wogenkämme turmhoch und schlagen mit einer Gewalt 
gegen das Land und darüber hinaus, dass es fast scheint, als sei 
der jüngste Tag mit seinen Schrecken da. Keine Beschreibung ist 
im stände, das dem Leser klar auszumalen. Nur wer es selbst ge¬ 
sehen und erlebt hat, kennt es ganz, was das heisst. So erfuhr’s 
in der stockfinstern Nacht vom 3. auf den 4. Februar 1825 die 
Küstengegend von Ostfriesland und besonders die Stadt Emden, die 
am Einflüsse der Ems in den Dollart liegt. 
Schon am Morgen des 3. Februar wütete vom Meere her ein 
Sturm, so grausig, wie ihn Emdens Bewohner kaum jemals erlebt hatten. 
Die Flut musste gegen Mitternacht am 4. Februar eintreten. Wütete 
bis dahin der Sturm, so drohte allen Küstenorten und auch der Stadt 
Emden das grösste Unglück. Und er wütete fort, ja er wuchs stünd¬ 
lich an Macht, und mit Schrecken sah man dem Schicksal entgegen, 
das da kommen musste. 
Es kam noch schauerlicher, als man es sich gedacht hatte. Der 
Wogenberg der Flut brach herein in die Ems mit einer solchen 
Höhe, mit einer solchen masslosen Gewalt, dass alle Vorsichtsma߬ 
regeln fruchtlos waren und man den Untergang der Stadt von 
Minute zu Minute unter dem Brüllen und Schlagen der Meereswogen 
näher herankommen sah; denn die Dämme, die zum Schutze des 
Landes mit grossen Kosten erbaut waren, vermochten nicht, solchem 
Drange Widerstand zu leisten. Sie brachen, und die kochende 
Meeresflut überdeckte das flache Land, und Jammer und Elend war 
in ihrem schrecklichen Gefolge. Verwüstung überall, Jammern und 
Hilferuf überall, und, da jeder mit sich selbst beschäftigt war, nirgends 
ein rettendes Boot! Häuser stürzten ein und begruben ihre Bewohner 
in der Tiefe, und das Meer gab seine Opfer nicht wieder heraus. Und
	        
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