Full text: [Teil 3 = Quinta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quinta, [Schülerband])

VI. MilB der Erd- und BöMerKnnde. 
^06. Ebbe und Flut. 
I. G. Kohl. Die Reisen in den Niederlanden. Leipzig. 
Ein sonderbares Schauspiel bietet an den Küsten der Nordsee die 
täglich zweimal eintretende Ebbe und Flut. Da stürzen sich, wenn 
die Ebbe eintritt, in eiligster Hast Ströme und Flüsse ins Meer hinaus. 
Alle Gewässer sind stn Bewegung; aus allen Kanälen, Gräben und 
Zweigadern des Landes strömt es hinaus, wie in den Straßen einer 
Stadt nach einem heftigen Regen. Überall wachsen trockene Länder 
aus dem Meere heraus und nehmen zusehends an Umfang zu. Jede 
Insel, an der man vorüberfährt, umgibt sich mit einem breiten Gtirtel 
Vorland, das sich sofort mit Menschen bevölkert, die den Krabben und 
anderen im Schlamme zurückgebliebenen Seetieren nachstellen. Im 
Schlamme bezeichnet man noch Stellen, wo einst blühende, jetzt vom 
Meer verschlungene Orte gestanden haben sollen. Gewöhnlich wird der 
Wasserspiegel durch die Ebbe um 4 m, zuweilen auch um 6 m er¬ 
niedrigt. 
Endlich entsteht ein Stillstand in dem Strömen. Es scheint, als 
wären alle während der Ebbe so rasch eilenden Flüsse in ruhige Seen 
verwandelt. Allmählich aber kommt wieder Leben und Regsamkeit in 
die versiegenden Gewässer. Das Meer dringt erst leise rückwärts. Die 
süßen Gewässer, die aus dem Innern des Landes her sich einen Aus¬ 
gang erringen wollen, geraten mit ihm in Streit, aus dem an vielen 
Punkten mächtige Wirbel entstehen. Endlich siegt der Ozean. Seine 
Schulter hebt sich gewaltig, und er .zieht siegreich zu allen Toren 
des Landes ein. Alle großen und kleinen Kanäle des Landes füllen 
sich, und viele schwellen an bis zum Rand. Die weiten, kahlen Sand¬ 
bänke schmiegen sich wieder unter die feuchte Decke des Ozeans, zu 
dessen Gebiete sie gehören. Die Fischer, Austern- und Krabbensucher, 
die Strandspaziergänger ergreifen die Flucht und verbergen sich hinter 
den Dämmen und Deichen. Die Vorlande der Inseln verschwinden 
wieder, und diese selbst schmelzen auf die Hälfte ihres Gebietes zusammen. 
Kleine Landesteile, die noch eben mit dem Festlande zusammenhingen, 
lösen sich und werden zu Inseln. Die Hafendämme der Städte, vorher
	        
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