145
rief er aus, was hast du nun von allem deinem Reichthum? Was ich
einst von meiner Armuth auch bekomme: ein Todtenkleid und ein
Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Ros—
marin auf die kalte Brust, oder eine Raute. Mit diesen Gedanken
begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab,
sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhe—
stätte, und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er
kein Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf
die er nicht Acht gab. Endlich gieng er leichten Herzens mit den
andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man deutsch
verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und wenn
es ihm wieder einmal schwer fallen wollte, daß so viele Leute in
der Welt so reich seien, und er so arm, so dachte er nur an den
Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein
reiches Schiff und an sein enges Grab.
10.
15
169. Herr von Münchhausen erzählt.
Auf meiner Reise nach Rußland ritt ich einst im tiefen Winter,
bis Nacht und Dunkelheit mich überfielen. Nirgends war ein Dorf
zu hören noch zu sehen. Das ganze Land lag unter Schnee, und
ich wußte weder Weg noch Steg.
Des Reitens müde, stieg ich endlich ab, und band mein Pferd
an eine Art von spitzem Baumstaken, der über dem Schnee hervor—
ragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Pistolen unter den Arm,
legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder, und that ein
so gesundes Schläfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder auf—
giengen, als bis es heller, lichter Tag war. Wie groß war aber mein
Erstaunen, als ich fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem
Kirchhofe lag! Mein Pferd war anfänglich nirgends zu sehen; doch
hörte ich's bald darauf irgendwo über mir wiehern. Als ich nun
emporsah, so wurde ich gewahr, daß es an den Wetterhahn des
Kirchthurms gebunden war, und von da herunter hieng. Nun
wußte ich sogleich, wie ich daran war. Das Dorf war nämlich die
Nacht über ganz zugeschneit gewesen; das Wetter hatte sieh auf
einmal umgesetzt; ich war im Schlaf nach und nach, sowie der
Schnee zusammengeschmolzen war, ganz sanft herabgesunken; und 35.
was ich in der Dunkelheit für den Stumpf eines Bäumchens, der
über dem Schnee hervorragte, gehalten, und daran mein Pferd ge—
bunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirch—
thurms gewesen.
Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen 40.
Pistolen, schoß nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder
zu meinem Pferde und verfolgte meine Reise.
Hierauf gieng alles gut, bis ich nach Rußland kam, wo es
* Nr. 169- 171 aus Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen
und Abenteuer zu Wasser und zu Lande. (Von G. A. Bürger.)
Mager, Deutsches Elementarwerk. 1. 1. Vierzehnte Aufl. 10