22
6. Der Wolf und der Fuchs.
Der Wolf hatte den Fuchs bei sich, und was der Wolf wollte,
das mußte der Fuchs thun, weil er der schwächste war, und der
Fuchs wäre gern des Herrn los gewesen. Es trug sich zu, daß
sie beide durch den Wald giengen, da sprach der Wolf: „Rothfuchs,
schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich.“ Da antwortete der
Fuchs: „ich weiß einen Bauernhof, wo ein paar junge Lämmlein
sind; hast du Lust, so wollen wir eins holen.“ Der Wolf wars
zufrieden, und so giengen sie hin, und der Fuchs stahl das Lämm—
10 lein, brachte es dem Wolf und machte sich fort. Da fraß es der
Wolf auf, war aber damit noch nicht zufrieden, sondern wollte das
andere dazu haben und gieng, es zu holen. Weil er es aber so
ungeschickt machte, ward es die Mutter vom Lämmlein gewahr und
fieng an entsetzlich zu schreien und zu bläen, daß die Bauern her—
beigelaufen kamen. Da fanden sie den Wolf und schlugen ihn so
erbärmlich, daß er hinkend und heulend bei dem Fuchs ankam. „Du
hast mich schön angeführt,“ sprach er, „ich wollte das andere Lämm
holen, da haben mich die Bauern erwischt und haben mich weich
geschlagen.“ Der Fuchs antwortete: „warum bist du so ein Nim—
20. mersatt.“
Am andern Tage giengen sie wieder ins Feld; sprach der un—
ersättliche Wolf abermals: „Rothfuchs, schaff mir was zu fressen,
oder ich fresse dich.“ Da antwortete der Fuchs: „ich weiß ein
Bauernhaus, da backt die Frau heut Abend Pfannkuchen, wir wollen
uns davon holen.“ Sie giengen hin, und der Fuchs schlich sich ums
Haus herum, guckte und schnupperte so lange, bis er ausfindig
machte, wo die Schüssel stand, zog dann sechs Pfannkuchen herab
und brachte sie dem Wolf. „Da hast du zu fressen,“ sprach er zu
ihm und gieng seiner Wege. Der Wolf hatte die Pfannkuchen in
30. einem Augenblick hinuntergeschluckt und sprach: „sie schmecken nach
mehr,“ gieng hin und riß geradezu die ganze Schüssel herunter,
daß sie in Stücke zersprang. Da gabs einen gewaltigen Lärm, daß
die Frau herauskam, und als sie den Wolf sah, rief sie die Leute,
die eilten herbei und schlugen ihn, was Zeug wollte halten, daß er
35. mit zwei lahmen Beinen laut heulend zum Fuchs in den Wald hin—
auskam. „Was hast du mich garstig angeführt!“ rief er, „die
Bauern haben mich erwischt und mir die Haut gegerbt.“ Der Fuchs
aber antwortete: „warum bist du so ein Nimmersatt.“
Am dritten Tag, als sie beisammen draußen waren, und der
Wolf mit Mühe nur forthinkte, sprach er doch wieder: „Rothfuchs,
schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich.“ Der Fuchs ant⸗
wortete: „Ich weiß einen Mann, der hat geschlachtet, und das ge—
salzene Fleisch liegt in einem Faß im Keller, das wollen wir uns
holen.“ Sprach der Wolf: „aber ich will gleich mitgehen, damit
du mir hilfst, wenn ich nicht fort kann.“ „Meinetwegen,“ sagte
der Fuchs und zeigte ihm die Schliche und Wege, auf welchen sie
endlich in den Keller gelangten. Da war nun Fleisch im Ueberfluß,
und der Wolf machte sich gleich daran und dachte: „bis ich aufhöre,
n