Full text: [Bd. 1, [Schülerband]] (Bd. 1, [Schülerband])

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deiner Hülfe gönne! es ist erst kurze Zeit, daß ich dir zu Rom die 
Messe sang, damals sah ich noch mit meinen Augen.“ An diesen 
Worten erkannte König Karl seinen Bruder, erschraäk so heftig, daß 
er zu Boden fallen wollte und raufte die Haare aus. Die Leute 
sprangen herzu und hielten ihren Herrn. „Zu deinen Gnaden — 
klagte Leo — bin ich hierher gekommen, um deinetwillen hab ich 
die Augen verloren, weine nicht mehr, lieber Bruder, sondern loben 
wir Gott und seine große Barmherzigkeit!“ Da war großer Jammer 
unter dem Volke, und niemand mochte das Weinen verhalten. 
Als nun der König alles von dem Papst erfahren hatte, sagte 10. 
er: „deine Augen will ich rächen oder nimmermehr däs Schwert 
länger führen.“ Er sandte Boten zu Pipin, seinem Vater, und 
den Fürsten in Kerlingen. Alle waren ihm willig, die Boten eilten 
von Lande zu Lande, von Herren zu Mannen; Bauleute und Kauf— 
männer, die niemand entbieten konnte, ließen freiwillig Hab und 15. 
Gut und folgten dem Heere. Sie zogen sich zusammen wie die 
Wolken. Der Zug gieng über die Alpen durch Triental, eine un— 
zählige Schaar und die größte Heerfahrt, die je nach Rom geschah. 
Als das Heer so weit gekommen war, daß sie Rom von ferne 
erblickten, auf dem Mendelberg*, da betete der werthe König 20. 
drei Tag und drei Nacht, daß es den Fürsten leid that, und sie 
sprachen, wie er so lange ihre Noth ansehen möchte, nun sie so 
weit gekommen wären. Der König antwortete: „Erst müssen wir 
zu Gott flehen und seinen Urlaub haben, dann können wir sanft 
streiten; auch bedarf ich eines Dienstmannes in dieser Noth, den 25. 
sende mir Gott gnädiglich.“ 
Früh am vierten Morgen scholl die Stimme vom Himmel, nicht 
länger zu warten, sondern auf Rom los zu ziehen; die Rache soll 
ergehen und Gottes Urtheil sei erfolgt. 
Da bereitete man des Königs Fahne. Als das Volk den Berg 30. 
herabzog, ritt Gerold dem König entgegen. „Herrlich,“ redete ihn 
der König an, „lange warte ich dein, liebster unter meinen Mannen!“ 
Karl rückte den Helm auf und küßte ihn. Alle verwunderte es, wer 
der Einschilde (der nur einen Schild führt) wäre, den der König so 
vertraut grüßte. Es war der kühne Gerold, dem das schwäbische 35. 
Volk folgte in drei wonnesamen Schaaren. Da verlieh ihnen Karl, 
daß die Schwaben dem Reich immer vorfechten sollten. 
Sieben Tage und sieben Nächte belagerte das Heer Rom und 
den Lateran, an denen niemand wagte mit ihnen zu streiten. Den 
achten Tag schlossen die Römer das Thor auf und ließen den König 
ein. Karl saß zu Gericht, die Briefe wurden gelesen, die Schul— 
digen genannt. Als man sie vorforderte, so leugneten sie. Da 
verlangte der Kaiser Kampf, daß die Wahrheit davon erscheine. 
Die Römer sprachen, das wäre ihr Recht nicht, und kein König 
hätte sie noch dazu gezwungen; ihre Finger wollten sie recken und 45. 
Da sagte er: „von eurem Recht will ich keinen treiben, 
aber schwören sollt ihr mir auf Pancratius, dem heiligen Kinde.“ 
40. 
Mons gaudii, mont joie, wovon der Heerruf Karls des Großen.
	        
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