Full text: Für Sexta und Quinta (Abt. 1, [Schülerband])

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Hans staub lange wie im Traume da. 
Zwischen den Bergschluchten ergoß sich ent Lichtstrom der 
aufgehenden Sonne, und wie sie dem Mädchen ins blasse An¬ 
gesicht schien, fingen ihre Wangen an sich zu röten und zu blühen, 
immer frischer und schöner, bis sie die Rosen verdunkelten, in 
denen sie lag. 
Daß die Sonne aufgegangen war, hatte Hans nicht bemerkt; 
als aber das Mädchen die Äugen vor ihm aufschlug, da ging vor 
ihm eine Sonne auf, die sein ganzes Leben von nun an bescheinen 
sollte. Er warf sich nun neben sie hin und küßte sie aus ihren 
roten Mund; sie richtete sich auf, und beide schauten sich lange in 
die Augen und waren so glückselig wie nie in ihrem ganzen Leben. 
Da trat der Müller mit seinem Weibe zu den beiden heran, 
legte ihre Hände ineinander und sprach: „Dies ist deine Braut, 
die dir bestimmt ist, du braver Mensch! Dn hast uns alle von 
dem Zauber erlöst! Wir waren auf schlimmen Wegen, wir werden 
ein neues Leben anfangen!" 
Vater, Mutter und Tochter hingen mit Freudentränen an 
dem Halse ihres Retters. 
So ward Hans und das schöne Müllermädchen Braut und 
Bräutigam, und alle kehrten in voller Lust in die Waldmühle zu¬ 
rück. Der sonst so faule Müller ward ein fleißiger Mann, die 
geizige Müllerin eine freigebige, gastfreundliche Frau, die Magd 
naschte nie mehr in ihrem Leben, der bissige Knecht wurde ein fried¬ 
liebender Mensch. Bald baute der Müller neben der alten Mühle 
eine ganz neue, und die Leute, die darin das glücklichste Leben 
von der Welt führten, waren niemand anders als Hans Quäcken- 
berger und seine Frau. 
Wer nun aber so überaus neugierig ist, daß er hieran noch 
nicht genug hat, sondern wissen möchte, wie es mit der Bezauberung 
der Müllerfamilie zugegangen ist, dem zuliebe will ich das auch 
noch berichten. 
Der Wald, in dem die Mühle lag, gehörte zu Oberons, des 
Elfenkönigs, Herrschaft. Oberon war es also gewesen, der die 
Schuldigen zur Strafe für ihre Fehler in Tiere verwandelte. Aber 
mit ihnen mußte — das ist nun einmal in dieser Welt nicht an¬ 
ders — auch die Unschuld leiden, wie wir es an der Taube ge¬ 
sehen haben. Rur wenn dies treue Herz für die Ihrigen sich dem 
^vde von liebender Hand preisgab, nur wenn der, welcher die 
Unschuldige tödlich verwundet hatte, um ihretwillen sein eigenes 
^eben hinzugeben bereit war, konnte der Zauber in einer Voll¬ 
mondnacht gelöst werden.
	        
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