Gotthelf.
169
aber lange, lange hatte kein Mensch die Tiere gesehen,
man dachte nicht mehr, daß sie noch seien. Da verbreitete
sich Schrecken im Lande, das Vieh trieb man nicht mehr
herauf an den Wald, niemand wagte sich in dessen Nähe,
der Wald ward zum gefeiten Orte, den jedermann floh;
daß ein Drache außerhalb deniselben sich zeigen könnte,
daran dachte man nicht.
So verstund dies aber der Drache nicht; das Innere
des Waldes hatte er ausgeweidet in seiner Gier, an die
Rinder an den Rändern hatte er sich gewöhnt, seiner Gier
konnte er nicht Schranken setzen, das einmal Gewohnte
nicht missen. Darum trieb es ihn über seine Grenzen,
trieb ihn den Rindern nach, trieb ihn selbst am Tage
heraus, als man des Nachts die Rinder vor ihm zu ver¬
wahren suchte. Da sah man ihn, und Menschen und Vieh
graute vor dem scheußlichen Lindwurme mit dem dicken
Schlangenleib auf kurzen Vorderfüßen, dessen Augen Feuer
sprühten, dessen Tatzen doppelt so gewaltig waren als
Bärentatzen, dem wüste kurze Flügel auf dem Rücken stun¬
den. Tapfere Männer wagten sich hinaus, ihn zu be¬
stehen, aber keinen sah man wieder, und immer inehr zag¬
ten die Leute, mieden in immer weiterm Umkreise den
Wald und dessen Nähe. Aber je mehr die Menschen ihn
mieden und flohen, desto frecher ward der Drache, verließ
den Wald, pflanzte sich in die Nähe des Weges, der von
Obwalden nach Unterwalden führt, eine Höhle war sein
Schloß, er aber ward die Plage des Landes. Die Men¬
schen zitterten und bebten, das Vieh war in den Niede¬
rungen nicht sicher, es war keine frohe Stunde mehr über
dem Lande, und wenn schon viele tapfere Männer waren,
welche weder vor Menschen noch Tier sich fürchteten, an
ein solch nie gesehen Untier, welches jeder Waffe wider¬
stund, wagte keiner sich mehr. Weit herum wurde das
Elend bekannt, aber kein Netter fand sich, ja die Leute
mieden Unterwalden, und das Land ward arm. Da kein
Mensch helfen konnte, wandten die Leute sich zu Gott,