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23. Prüfstein der Freundschaft.
Ein junger Wolf lobte gegen seinen Vater gewaltig einen andern jungen
Wolf und pries ihn als seinen besten, seinen innigsten Freund.
„Warst du denn schon einmal in Lebensgefahr und rettete er dich mit
seiner eigenen daraus?"
„Das wohl nicht, mein Vater, aber — "
„Oder jagtet ihr schon einmal zusammen und teiltet die Beute ganz
ohne Zwist?"
„Auch das nicht, aber—"
„O so schweig noch und behalte jenes Lob bei dir selbst I Dein Spiel¬
geselle kann vielleicht wirklich dein Freund sein, das will ich ihm nicht ab-
sprechen; aber woher weißt du es sicher, solange du ihn noch nicht beim
Unglück, ja noch nicht einmal beim Mein und Dein geprüft hast?"
A. G. Meißner. Fabeln. Wien 1813. S. 333.
24. Der Rangstreit der Tiere.
Vier Fabeln.
1. Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Tieren. Ihn zu schlichten
sprach das Pferd: „Lasset uns den Menschen zu Rate ziehen; er ist keiner
von den streitenden Teilen und kann desto unparteiischer sein."
„Aber hat er auch den Verstand dazu?" ließ sich ein Maulwurf hören.
„Er braucht wirklich den allerfeinsten, unsere oft tief versteckten Vollkommen¬
heiten zu erkennen." — „Das war sehr weislich erinnert!" sprach der Hamster.
„Jawohl!" rief auch der Igel; „ich glaube es nimmermehr, daß der Mensch
Scharfsichtigkeit genug besitzt."
„Schweigt ihr!" befahl das Pferd; „wir wissen es schon: wer sich
auf die Güte seiner Sache am wenigsten zu verlassen hat, ist immer am
fertigsten die Einsicht seines Richters in Zweifel zu ziehen."
2. Der Mensch ward Richter. „Noch ein Wort," rief ihm der majestätische
Löwe zu, „bevor du den Ausspruch tust! Nach welcher Regel, Mensch,
willst du unsern Wert bestimmen?"
„Nach welcher Regel? Nach dem Grade ohne Zweifel," antwortete
der Mensch, „in welchem ihr mir mehr oder weniger nützlich seid."
„Vortrefflich!" versetzte der beleidigte Löwe. „Wie weit würde ich als¬
dann unter dem Esel zu stehen kommen! Du kannst unser Richter nicht sein,
Mensch! Verlaß die Versammlung!"
3. Der Mensch entfernte sich. „Nun," sprach der höhnische Maulwurf
— und ihm stimmte der Hamster und der Igel wieder bei — „siehst du,
Pferd? Der Löwe meinte es auch, daß der Mensch unser Richter nicht sein
kann; der Löwe denkt wie wir." — „Aber aus bessern Gründen als ihr!"
sagte der Löwe und warf ihnen einen verächtlichen Blick zu.
4. Der Löwe fuhr weiter fort: „Der Rangstreit, wenn ich es recht über¬
lege, ist ein nichtswürdiger Streit. Haltet mich für den vornehmsten oder
für den geringsten; es gilt mir gleichviel. Genug, ich kenne mich!" Und
so ging er aus der Versammlung.
Ihm folgte der weise Elefant, der kühne Tiger, der ernsthafte Bür,