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Um die Wende des Jahrhunderts geriet das eroberungssüchtige Frank¬
reich mit Holland und später mit Österreich in Krieg, welch letzterem es
die spanischen Niederlande abnehmen wollte. Zugleich kriegte Karl XII.
von Schweden gegen Dänemark, Rußland, Polen und Sachsen, späterhin
Friedrich II. von Preußen wegen Schlesiens gegen Österreich und das mit
diesem verbündete Frankreich. Leopold fand also vollauf Gelegenheit, sein
Talent im Kriegführen zu zeigen. Überall erntete er Lorbeeren, siegte in
zweiundzwanzig Schlachten — so bei Höchstädt, Cassano, Turin, Kessels¬
dorf u. a. — und eroberte siebenundzwanzig Festungen, galt für einen der
tüchtigsten Feldherren seiner Zeit und wurde mit Ehren und Würden über¬
häuft. In den Niederlanden, Süddeutschland und Italien half der un¬
gestüme Held die Franzosen schlagen, und als preußischer Feldmarschall
entriß er den Schweden Stettin, Stralsund und Rügen und brachte Vor¬
pommern, welches bis dahin schwedisches Besitztum gewesen war, an Preußen.
Den Italienern hatte der alte Schnurrbart so sehr gefallen, daß
man ihm zu Ehren einen Siegesmarsch komponierte, welcher in Cassano
zuerst erklang und dann in dem preußischen Heere unter dem Namen „der
Dessauer Marsch" als Parademarsch eingeführt wurde. An diesem fand
der Fürst, der für die Tonkunst sonst keinerlei Verständnis besaß, ein
solches Wohlgefallen, daß dies die einzige Melodie ward, die er sich an-
eignete; nach ihr sang er in der Kirche all und jedes geistliche Lied, zum
Staunen und Wunder der Anwesenden. Wie er von der Musik dachte,
beweist die folgende Geschichte. Einst hörte er dem Spiele seiner Regiments¬
musik zu, als er plötzlich bemerkt, daß zwei Waldhornisten aufhören zu blasen; mit
funkelnden Augen tritt er vor sie hin. „Canaillen, warum blast ihr nicht?"
fragt er heftig. „Ew. Durchlaucht," antwortet der Beherztere, „wir pausieren
jetzt." Dies erscheint ihm als eine unerhörte Frechheit, und er herrscht sie an:
„Wartet, ich will euch im Dienste pausieren lehren!" und im Nu hatten sie
eine Tracht Prügel weg.
Gar viel wußte man im Volke vom alten Dessauer zu erzählen. So
hart und derb er sich manchmal ausdrückte, so war ihm doch dabei anders
ums Herz; unter der rauhen Schale barg er ein tiefes, treues deutsches
Gemüt und war ein frommer Mann, der es oft aussprach, daß ein Mensch
ohne Religion nichts wert sei. Als er, von Friedrich dem Großen gedrängt,
die Feinde an einem kurzen Winternachmittage in der starken Stellung bei
Kesselsdorf angriff, wußte er recht wohl, daß sein Sieg den ganzen Feld¬
zug entscheiden würde. Daher kniete er vor seinen Soldaten nieder und
betete inbrünstig: „Lieber Gott, steh mir heute gnädig bei, oder willst du
mir diesmal nicht beistehen, so hüls wenigstens auch dem Schurken von Feind
nicht, sondern sieh, wie's kommt!" Hierauf erhob er sich, zog den Degen