209
übergehenden mit lockenden Worten zum Stillstehen und Prüfen bewegend.
Für so manche bedarf es jedoch gar nicht erst der Leimrute. Sie stehen
mit weit aufgerissenen Augen vor den Buden, um so begehrlicher drein¬
schauend, je dürftiger der Inhalt der Börse sich zeigt. Aus dem Flach¬
lande sind sie heraufgekommen und aus den Walddörfern herniedergestiegen.
Den baumwollenen Schirm unter den einen Arm geklemmt, einen farbigen
Deckelkorb in der Hand, so ziehen sie in Reihen und Gruppen die Buden-
gassen auf und ab. Ältere Frauen haben noch das Kopftuch kunstvoll um
die Stirn geschlungen. An der Art, wie sie es geknüpft, weiß der Kenner
die einzelnen Ortschaften zu bestimmen. Die alten Männer erscheinen noch
in kurzen Hosen mit hellbraunen, bis zu den Knieen reichenden Gamaschen.
Die größere Hälfte des Marktplatzes nehmen die Schnittwarenhändler,
Böttcher, Schuster, Seiler, Korbmacher, sowie die Händler und Hausierer
mit hunderterlei nützlichen und unnützen Dingen ein. Drüben im Schutze
der Kirche hingegen haben einige Buden mit Porzellan Aufstellung gefunden.
Der übrige Raum vor dem stattlichen Rundbau des Gotteshauses ist am
Boden mit Tausenden buntfarbiger irdener Schüsseln, Krüge, Pfannen,
Ampeln und Töpfe bedeckt; zum Teil sind es Erzeugnisse hiesiger Töpfer¬
kunst, zum Teil auch derjenigen fremder Töpfer, deren planbedeckte Wagen
dicht an der Mauer der Kirche aufgefahren sind. Jeder dieser Wagen ist
ein Wigwam, ein fahrendes Heim der armen Leute. Denn wenn die
Töpferei in Thüringen auch noch immer einen gewissen Nachklang einstiger
Blüte, gesunden Formen- und Farbensinnes zeigt, arm ist der Stand mit
wenigen Ausnahmen bis heute geblieben. Das Rößlein ist irgendwo in
einem Stalle untergebracht. Vor dem Wagen, zu dessen Seite ein Bauer
mit einem zwitschernden Waldessänger hängt, steht ein kleiner Feuerrost,
auf dem das kärgliche Mahl der Familie brodelt. Die Frau, in dürftiger,
bunter Kleidung, kniet davor und rührt zuweilen den Brei. Ein paar
barfüßige Kinder, ungekämmt und kurzröckig, spielen in der Nähe, während
der Mann, die Pfeife im Munde, zwischen seinen Töpfen und Schüsseln
wie ein Musterung hallender Feldherr auf- und niederschreitet.
Auf und ab wogt es. Jeder neue Bahnzug bringt neue Besucher,
dazwischen drängen sich die zu Fuß herüber gepilgerten Dorfbewohner.
Durch das alte, enge Stadtthor quillt es herein und ebbet wieder in
dunkeln Scharen hinaus. Es ist ein dauerndes Kommen und Gehen,
Feilschen, Ausrufen, Lachen, Schwatzen und Klappern. Dazwischen tönt
dann Wagengerassel, Peitschenknall oder das Schlagen der vier Uhren von
Kirche, Turm, Rathaus und dem Schlosse droben auf dem Burgberg.
So kommt der Nachmittag heran. Das Marktgeschüft hat seinen
Höhepunkt für heute erreicht. Nun wird es allmählich stille. Der Strom
der Besucher verläuft sich langsam in den Gassen und Winkeln. Aber noch
Lesebuch für höhere Lehranstalten. (Preuß. Ausg.) I. 14