Von den Deutschen in Llngarn. Deutsches Leben in der südrussischen Steppe. 43
Wir aber wissen, es lebet
der Wurzel die alte Kraft,
noch oft, so Gott will, hebet
sich zu Blütenkronen der Schaft.
Wir aber, ob Leben ob Sterben,
was auch die Zukunft sei:
Wenn alle untreu werden,
so bleiben wir doch treu!
Georg Daniel Teutsch.
22. Deutsches Leben in der südrussischen Steppe.
Es war ein grauer, nebliger Wintertag, als wir von Odessa aus,
der stolzen russischen Lasen- und Handelsstadt am Schwarzen Meere,
unsere Steppenfahrt antraten, deren Ziel, so wunderlich das klingen
mag, ein schwäbisches Bauerndorf war. An Stelle harten Frostes und
starken Schneesalls war seit einigen Tagen Tauwetter getreten, das im
grauen Dunst über der ausgeweichten Schwarzerde der Steppe lagerte.
Trotzdem hatte uns freundliche Sorgfalt unserer Odessaer Freunde bis
über die Ohren in Pelzwerk gesteckt, das nach oben in mächtigen Lamm¬
fellmützen, nach unten in kniehohen Filzstiefeln seinen würdigen Abschluß
fand. Man kann eben den Steppenwinden doch nie ganz trauen, und
wenn sie plötzlich in Winterzeit vom Weißen Meer her mit Siebenmeilen¬
stiefeln angesaust kommen, über das unermeßliche Rußland hinweg, in
dem kein Berg und Lügel ihrem tollen Fluge Einhalt gebietet, dann
sind sie böse Gesellen! — Durch die unreinlichen, verwahrlosten Vor¬
stadtstraßen Odessas hinweg ließ unser kleinrussischer Kutscher, auf dessen
breitem, schmutzigem Gesicht Gutmütigkeit und Verschmitztheit sich ver¬
gnüglich mischten, seine drei zottigen Rößlein traben, daß der Straßen¬
schlamm uns wie Wurfgeschosse um die Ohren ssog, bis wir die letzten
Lolzbaracken der Vorstadt hinter uns hatten und sich die Steppe vor
uns austat. In unermeßlicher Weite breitete sie sich aus, grau in grau
mit dem Lorizont verwachsend, nur vereinzelt überragt von künstlich
aufgeschütteten kegelförmigen Lügeln, Kurgane genannt, von denen man
nicht wissen kann, ob sie als die Hünengräber der südrussischen Steppe
verschollenen Tatarenhäuptlingen oder germanischen Gotenhelden, den
Vorvätern eines Alarich oder Theoderich, als letzte Leimstätte auf¬
getürmt wurden. Am Meeresufer entlang führte uns der Weg. Wege
in unserem Sinne allerdings kennt die Steppe nicht. Der eine folgt
den Wagenspuren des anderen und verbreitert sie beliebig nach den