Full text: [Teil 4, [Schülerband]] (Teil 4, [Schülerband])

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vierundzwanzigtausend Scheffel. Der himmlische Vater hat in 
seiner Weisheit und Gnade denselben zum Glück einen sehr 
raschen Flug und die Neigung verliehen, nur über unbewohnte 
Teile der Erde sich zu verbreiten; sonst müßten sie selbst ent¬ 
weder umkommen, oder sie würden alle Erzeugnisse der Wälder 
und Felder allein verzehren. Oldenb. Volksbote. 
31. Der Rabe zu Merseburg. 
Zu Anfang des 16. Jahrhunderts lebte zu Merseburg an 
der Saale ein Bischof, Namens Thilo von Trotha. Der 
war ein gar jähzorniger Herr, zumal wenn ihm irgend eine 
Widerwärtigkeit seine gute Laune verdarb. Dies geschah aber einst¬ 
mals auf der Jagd, als er den ganzen Tag auf seinem Rosse 
durch Sumpf und Moor gesprengt war, ohne auch nur ein ein¬ 
ziges Wild erlegt zu haben. Verdrießlich zog er heim nach seinem 
Schlosse, warf die Jagdkleider ab und begab sich in sein Ge¬ 
mach, wo der alte Kämmerer Johannes, ein silberhaariger 
Greis, seiner wartete. 
Nun besaß der Bischof einer: goldenen Siegelring, der ihm 
als Geschenk eines Freundes besonders wert und teuer war, 
und den er in einem Kästchen aufzubewahren pflegte. In der 
Eile hatte er dasselbe am frühen Morgen mit dem Kleinode un¬ 
verschlossen am offenen Fenster stehen lassen, und als er jetzt da¬ 
nach griff, vermißte er den Ring. Da überzog Zornesröte sein 
Gesicht; Johannes aber erbleichte und vermochte kaum auf die 
heftige Frage seines Herrn nach dem Ringe eine entschuldigende 
Antwort zu stammeln. Das schien dem Bischof verdächtig, und 
in seinem Jähzorn vergaß er der langjährigen Treue seines alten 
Dieners und beschuldigte ihn des Diebstahls. Ja, als Johannes, 
im Bewußtsein seiner Unschuld, mit kühnem Worte widersprach, 
ließ ihn der zornige Herr in den Turm werfen. 
Nichtsdestoweniger beteuerte der Greis fort und fort seine 
Unschuld; erst unter den Qualen der Folter gestand er ein, wo¬ 
von er nichts wußte, und das strenge Gesetz der damaligen Zeit 
verurteilte ihn zum Tode. Als er aber auf dem Schafotte stand, 
da erhob er seine Hände gen Himmel und erklärte vor dem ver¬ 
sammelten Volke, daß er unschuldig gerichtet werde. Der strenge 
Spruch aber ward vollzogen. 
Jahre vergingen, und das Grab des treuen Dieners über¬ 
wucherte dichter Rasen. Da geschah es, daß in einer Gewitter¬ 
nacht der Sturm die Dachbekleidung eines der sieben Schloßtürme 
herunterfegte, und als des andern Tages der Dachdecker denselben 
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