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standen, sprach Mari in feierlich: „Kinder, dankt mit uns Gott, der uns in
dieser Nacht zu glücklichen Menschen gemacht hat. Und von heut an nehmt
ihr einen Juden in euer tägliches Gebet auf; wenn wir auch seinen Namen
nicht kennen, die Engel im Himmel haben ihn droben aufgezeichnet!" So
wurde der Christabend im Bahnwartshäuschen Station 113 gefeiert.
58. Aus den Zeiten der Fremdherrschaft.
In einer Amtsstadt im badischen Mittelrheinkreis lebte im Anfang
dieses Jahrhunderts ein Registrator mit seiner Familie. Es war ein starker,
großer Mann, von dem man denken konnte, er könne besser den Säbel als
die Feder führen. Das lange wallende Haar stand ihm gut an, nur wenn
er heftig wurde, da war es anzuschauen wie die Mähne eines gereizten
Löwen. Er war aber sonst ein stiller, ernster Mann, dessen Blick, so freund¬
lich er sonst war, doch etwas Schwermütiges hatte; man sah es ihm an,
den Mann drückte etwas, und er durfte doch nicht sagen, was. Wo ihn
zunächst der Schuh drückte, das konnte man merken, wenn man die Thür
aufmachte, die aus seiner Amtsstube führte. Da waren seine Frau und
seine fünf Kinder, wie die Orgelpfeifen aufeinander folgend, der älteste
ein Knabe von zwölf Jahren. Mit Sorgen mochte er da wohl an die Zu¬
kunft denken, denn schon jetzt gab's schmale Bissen; die Besoldung war nur
klein, und das letzte Halbjahr war gar nichts ausgezahlt worden wegen der
Kriegszeiten. Es war noch ein Glück für ihn, daß zum Teil sein Einkommen
in Holz, Frucht und Wein bestand, denn sonst hätte er gar nicht gewußt,
woher nehmen, um die vielen Mäuler zu stopfen. Aber wie sollte das noch
werden, wenn der Krieg weiter fortging? Das hatte ihm schon manchmal
den Kopf warn: gemacht, und es war doch noch nicht das Schlimmste. Denn
wenn er seine Schreiber entlassen hatte und seinen Schlafrock anzog, da
war's ihm doch eine Freude, bei dem jungen Volk zu sein. Da spielte er
mit den Kindern oder nahm den jüngsten auf seinen Schoß, ließ ihn reiten
und sang dazu deutsche Kriegslieder, daß die Mutter oftmals besorgt herein¬
kam und zu ihm sagte: „Pst, Alter, nicht so laut! die Speichellecker könnten's
hören!" Da wurde er jedesmal ernst, und die milden Augen fingen an zu
rollen, das lange Haar sträubte sich, und aus der Brust kam ein tiefer
Seufzer. Ja, da war der Fleck, wo ihn der Schuh drückte. In dem Amts¬
städtchen war mehr denn ein Franzosenfreund, zum Teil auch bestochene
Leute, die am liebsten ganz französisch geworden wären. Sie hatten genaue
Verzeichnisse über alle ihnen verdächtigen Personen der Umgegend und suchten
Mendt, deutscher Lesebuch I. 10